Zehn Jahre für Ökogangster

Heute tritt das neue Umweltstrafrecht in Kraft / Die Reform erhöht das Strafmaß / Polizei und Staatsanwaltschaft bleiben so hilflos wie zuvor  ■ Von Werner Rügemer

Im April hat die Mehrheit des alten Bundestages das „zweite Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität“ verabschiedet. Heute tritt die Novelle in Kraft. Sie hat vor allem das Strafmaß für Umweltdelikte erhöht. Wer Altöl in den Bach kippt, oder harte Chemiegifte freizügig auf dem Acker verteilt, muß damit rechnen, bis zu zehn Jahre ins Gefängnis zu wandern.

Wenn er denn erwischt und verurteilt wird. Die Verschärfung des Umweltstrafrechts zielt in die falsche Richtung. Nötig wäre eine Reform der Justiz wie der Umweltbürokratie, die ihre Kenntnisse über Rechtsverstöße meist nicht an die Strafverfolgungsbehörden weitergibt. Für eine höhere Strafandrohung bestand gar keine Notwendigkeit – schon das alte Strafmaß war nie ausgeschöpft worden. Die Regierung begründete ihre neuen Höchststrafen lediglich mit spektakulären Fällen von illegalen Müllexporten oder Schmuggel radioaktiver Stoffe. Die millionenfachen unspektakulären Normalfälle, in denen etwa das jahrzehntelange Einatmen von Asbest- oder Mineralfasern am Arbeitsplatz zu Krebs führt, bleiben ausgespart.

Zum ersten Mal waren 1980 umweltbezogene Tatbestände in das Strafgesetzbuch aufgenommen worden. Mit Hilfe der Paragraphen 324 bis 330 („Verunreinigen eines Gewässers“, „umweltgefährdende Abfallbeseitigung“ und dergleichen) wurde aber kaum Recht gesprochen. Zwar waren – und sind – die Anzeigen zahlreich. Aber in keinem Rechtsbereich sind so viele Verfahren schon im Ermittlungsstadium eingestellt oder vor Gericht mit einem Vergleich abgeschlossen worden. Die wenigen tatsächlich verhängten Strafen waren niedrig, meist blieb es beim Bußgeld-Ablaß: Mit 1.000 oder 5.000 Mark Bußgeld aus der Portokasse kauften sich Firmenmanager frei. Sie zahlten, ihr Vorstrafenregister blieb sauber, weitere Ermittlungen unterblieben.

Die beiden höchsten Strafen, die nach dem alten Umweltstrafgesetz ausgesprochen wurden, zeigen deutlich genug, wo die Reform hätte ansetzen müssen: Das Schöffengericht Bad Oldesloe verurteilte einen Lkw-Fahrer, der 5.000 Liter Kresol neben der Autobahn abgelassen hatte, zu drei Jahren Gefängnis ohne Bewährung. Die zweithöchste Strafe verhängte das Amtsgericht Düsseldorf: Der Unternehmer Siemons wurde wegen schwerer Umweltgefährdung und illegalen Betreibens einer Abfallentsorgungsanlage zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt – mit Bewährung.

Siemons ließ seine acht Arbeiter zwei Jahrzehnte lang auf dem Firmengelände zentnerweise giftige Farb- und Lösemittelrückstände verteilen und in die Kanalisation kippen. Deshalb zieht noch heute vier Kilometer unter bewohntem Stadtgebiet bis in das Wasserschutzgebiet des Wasserwerks Flehe eine vergiftete Grundwasserfahne dahin. Während der jahrelangen Ermittlungen hatte der Unternehmer Zeit, sein Vermögen auf die Ehefrau zu überschreiben. Zur Behebung des Schadens konnte er nicht mehr herangezogen werden – Konkursrecht geht vor Umweltrecht.

Die öffentlichen Haushalte von Düsseldorf und Nordrhein-Westfalen müssen nun über 50 Millionen Mark für Grundwassersanierung zahlen. Zwar hatte eine Erbengemeinschaft vier Jahrzehnte von Siemons Miete kassiert. Aber, sagt die Stadtverwaltung: „Wenn wir prozessieren, dauert das jahrelang.“ Könnten die Großunternehmen, die die Farbreste und Lösemittel anlieferten, wenigstens für die Sanierungskosten haftbar gemacht werden? Hätten sie nicht prüfen müssen, ob das kleine Unternehmen hinter dem Bahndamm solche Mengen entsorgen kann? Keine Chance: Gewerbeaufsicht und Umweltamt haben ihre Routinebesuche durchgeführt. Sie müssen Kenntnisse über die Straftaten gehabt haben, kann man nur vermuten. An die Polizei oder die Staatsanwaltschaft haben sie ihre Beobachtungen nicht weitergegeben.

Die Novelle wird an diesen Versäumnissen nichts ändern. Weder wertet sie das Umweltrecht gegenüber Konkurs- und Eigentumsrecht auf, noch beschleunigt sie Ermittlungen oder regelt die Zusammenarbeit von Gewerbeaufsicht und Umweltbehörden mit Polizei und Staatsanwaltschaft. Auch bei der Haftung von Vertragspartnern bleibt alles beim alten. Das geltende Umwelthaftungsgesetz aus dem Jahr 1991 greift in den meisten Fällen nicht, weil es an Tötung, Körperverletzung und Sachbeschädigung in Verbindung mit dem zivilrechtlichen Eigentumsbegriff orientiert ist.

Grundwasservergiftungen wie in Düsseldorf sind damit nicht justitiabel. Die Versicherungsunternehmen weigern sich, solche Schäden zu versichern. Und wie sollen Richter und Versicherer, die im Paragraphen 324a neu aufgenommene Verunreinigung des Bodens definieren, wenn die Bodenschutzverordnung der Bundesregierung dafür keine hinreichend konkreten Kriterien liefert?

Fast kein größeres Umweltverfahren wird von der Justiz noch nach den Regeln der Strafprozeßordnung zu Ende geführt – informelle Absprachen setzen sich durch. Polizei, Staatsanwälte und Gerichte haben sich vor allem auf Bagatellfälle zurückgezogen. Doch wenn wildgewordene Provinzgerichte Lkw-Fahrer nun länger ins Gefängnis schicken, wird das falsche Problem gelöst. Die Entkriminalisierung von Bagatelldelikten könnte auch hier den viel zu knapp mit Personal und Technik ausgestattenen Behörden Zeit für die Verfolgung der wichtigen Fälle verschaffen. Die Amtstuben sind ihnen ohnehin verschlossen und bleiben es. Die Forderung von Experten und Opposition, einen Straftatbestand für Behördenmitarbeiter zu schaffen, die ihre Pflichten verletzen, wurde vom Tisch gewischt. Staatsbedienstete behalten ihren Stand der ewigen Unschuld.