Immer noch in der Opposition

Eine ehemalige Staatsfeindin des sozialistischen Rumänien wurde wie viele andere bis heute weder rehabilitiert noch finanziell entschädigt  ■ Aus Bukarest Keno Verseck

Im August des Jahres 1982 schmuggelt ein Kurier ein geheimes Schreiben aus Rumänien nach Deutschland und übergibt es dem Sender „Radio Freies Europa“. Das Schreiben warnt vor dem geistigen Verfall und der Isolierung Rumäniens unter dem Diktator Ceaușescu. Die Verfasserin hat zwar um anonyme Veröffentlichung gebeten, aber versehentlich nennt der Sprecher ihren Namen in der Sendung dennoch: Doina Cornea.

Dieses Versehen machte die 56jährige Französisch-Professorin zur Staatsfeindin des sozialistischen Rumänien. Sie steht zu ihrem Schreiben; der Rektor an der Universität im siebenbürgischen Klausenburg (Cluj) entläßt sie daraufhin. Ihre mutige Haltung macht Doina Cornea später zu einer der wenigen Symbolfiguren der rumänischen Opposition. Sie schreibt weitere Aufrufe und Texte an „Radio Freies Europa“ – jetzt unter ihrem Namen. Ständige Schikanen der Securitate sind die Folge. Im November 1987 inhaftiert der Geheimdienst sie für fünf Wochen und stellt sie anschließend unter Hausarrest – bis zum 21. Dezember 1989.

Am 22. Dezember stürzt der Diktator Ceaușescu. An seine Stelle tritt am selben Tag der ehemalige KP-Funktionär Ion Iliescu. Der ruft bekannte Ceaușescu- Gegner in seine „Front zur Nationalen Rettung“, um sich einen Anschein von Legitimität zu verleihen. Doina Cornea gehört dazu. Doch wie die meisten Oppositionellen verläßt sie die „Front“ wenige Wochen später wieder: Enttäuscht stellte sie fest, daß Iliescu und seine Clique mit denselben Methoden wie vorher herrschen.

Keine Rehabilitation für politisch Verfolgte

Doina Cornea fühlt sich „immer noch in der Opposition“, wie sie im Mai 1990 in einem Interview sagt. Vier Jahre später hat sich daran nichts geändert. Weder sie noch andere politisch Verfolgte sind jemals juristisch rehabilitiert, geschweige denn für Haft- oder andere Strafen finanziell entschädigt worden. Statt dessen verleumdet, bespitzelt und bedroht die über Ceaușescus Sturz sich hinweggerettete Securitate weiterhin Oppositionelle. Behörden hängen ihnen Strafverfahren an. Auch Doina Cornea bekam das zu spüren: Anfang 1993 klagte die Staatsanwaltschaft sie wegen ihrer Kritik am Staatspräsidenten an. Weil ein internationaler Skandal zu befürchten war, verschwand die Akte einstweilen in den Schubladen.

Aber wenn schon nicht im Ausland, so kann die Staatsmacht mindestens im Inneren auf Schweigen und Desinteresse der Mehrheit hoffen. Diskussionen, Verfolgte der Diktatur zu rehabilitieren, gab es nach 1989 in der Gesellschaft nicht. Fragen nach Verantwortung und Schuld des einzelnen, wie sie Doina Cornea stellte, halten angesichts der Allmacht des Ceaușescu- Regimes heute sogar die meisten Intellektuellen für lächerlich.

So wirkt fast normal, was von außen grotesk anmutet: Ceaușescus Handlanger und Hofpoeten stiegen nach 1989 wieder zu prominenten Politikern auf. Die wenigen verurteilten Täter – wie Ceaușescus Sohn Nicu, berüchtigte Securitate-Generäle und hohe KP- Funktionäre – kamen fast alle frei, ohne daß sie ihre Haftstrafen abbüßen mußten. Und die unter Ceaușescu politisch Verfolgten, einst für einen Augenblick Symbolfiguren, gelten nun eher als Sonderlinge.

Einer von ihnen ist der Arbeiter Vasile Paraschiv aus Ploești. Der heute 66jährige Rentner machte in den 70er Jahren im Westen bekannt, daß in Rumänien Oppositionelle in der Psychiatrie mißhandelt wurden. Er erregte damit großes Aufsehen, hatte Ceaușescu doch mit einer scheinbar von Moskau unabhängigen Außenpolitik Rumänien den Ruf eines liberalen Ostblock-Staats verschafft.

Seit 1946 KP-Mitglied, tritt Vasile Paraschiv im Oktober 1968 aus der Partei aus, um gegen die stalinistische Herrschaft im Land zu protestieren. Er wird mehrmals in psychiatrische Anstalten eingewiesen, 1977 auch deshalb, weil er mit dem Schriftsteller Paul Goma eine Resolution an die KSZE schrieb. Die rumänischen Behörden wollen ihn loswerden, er darf im Januar 1978 nach Frankreich reisen. Erst nach internationalen Protesten kann er im Juli 1978 nach Rumänien zurückkehren. Dort wird er weiter terrorisiert. Offiziere der Securitate schlagen ihn mehrmals fast zu Tode. Zum letzten Mal weist ihn der Geheimdienst Ende März 1989 für 21 Tage in die Psychiatrie ein. Die Namen der Securitate-Offiziere und Ärzte, die ihn miß- und „behandelten“, sind bekannt. Keiner von ihnen ist je juristisch belangt worden.