Null Bock auf Gewalt

Nachdem ein Punk in Zittau durch die Messerstiche eines Skins starb, fragt sich der ganze Ort, ob die Gewalt eskaliert / Linke Jugendliche wehren sich vehement gegen „Chaoten“-Klischee  ■ Von Detlef Krell

Zittau (taz) – Trauer und verzweifelter Zorn im Jugendhaus „Rosa“. Am Abend nach dem tödlichen Angriff auf den achtzehnjährigen Michael Gäbler sind die schockierten Jugendlichen unter sich. Weder aus dem Rathaus noch aus der Polizeibehörde hat es jemand für nötig gehalten, zu ihnen zu kommen. Die jungen Leute fühlen sich wie Darsteller einer Reality-Show: „Alle gucken jetzt auf uns. Was werden wir wohl machen? Schlagen wir zurück? Eskaliert die Gewalt?“ Viele der braven Bürgerinnen und Bürger würden gar nicht durchschauen, was vor ihren Haustüren geschieht. „Für die ist das Bandenkrieg, ein Streit unter Jugendlichen“, gibt ein Krankenpfleger die Frühstücksgespräche mit KollegInnen wieder. In Zittau, der Kreisstadt im Dreiländereck, hat die „Rosa“ ihren Ruf als „linkes Haus“ weg, in dem die „Chaoten“ ein- und ausgehen.

Da hilft es wenig, daß die Jugendlichen sich nicht in diese Schublade pressen lassen wollen. Vor einem Vierteljahr war das „Offene Jugendhaus“ eröffnet worden; ein Café, ein Raum für den Filmclub; einige Wohnungen im Haus werden noch renoviert. An der Eingangstür und über der Theke kleben Zettel mit dem lapidaren Hinweis: „Das Kollektiv ist gegen Nazis.“ „Das heißt eben nicht, daß keine Rechten zu uns kommen dürfen“, stellt Marcus klar. Bürgermeister Jürgen Kloß (CDU) nährt aus sicherer Distanz das Klischee. Weil dieses Schild am Eingang hänge, sei das „eben doch kein offenes Haus“.

Am Samstag hatten glatzköpfige Besucher keine Probleme, eine Eintrittskarte zu bekommen. Es sollte ein besonderer Abend werden. In den Caféräumen sollte zum ersten Mal eine Techno-Party steigen. Das Haus war voll, Gäste kamen auch aus den umliegenden Orten. Irgendwann fiel einer auf, der die Barfrau anpöbelte, Gäste anmachte und Sprüche klopfte. „Ich bin Nazi, hast du was dagegen?“ brüllte er und: „Ich bin stolz, Deutscher zu sein.“ Niemand kannte diesen Typen, der sofort eine Ohrfeige austeilte, als er aufgefordert wurde, das Haus zu verlassen.

Michael, ein schmächtiger, blonder Punk, stellte den Krakeeler zur Rede. Was dann gegen halb drei Uhr nachts geschah, hat nur Michaels Freund mitbekommen. In einiger Entfernung vom Klubhaus diskutierten sie erneut mit dem bekennenden Neonazi. Doch der Freund war des Streits bald überdrüssig, er wandte sich ab, wollte gehen. In dem Moment hörte er hinter sich einen Schrei. Der Skin hatte mehrfach zugestochen. Für Michael gab es keine Rettung mehr.

Blumen und Kerzen erinnern heute an den Jugendlichen, der nicht einfach weghören wollte, wenn einer nazistische Parolen grölt. Die halbe Nacht wird in der „Rosa“ über das Verbrechen gesprochen, ein Zeitungsartikel immer wieder kopfschüttelnd, wütend zitiert. Auf der Lokalseite der Sächsischen Zeitung war am Donnerstag ein Beitrag über die von der Zittauer Antifa veranstaltete Prozeßkostenparty zu lesen gewesen. „Straftaten werden sanktioniert, indem man sich mit ihnen solidarisiert“, stand dort zu lesen, „Bürger der Stadt Zittau, verbarrikadiert Eure Fenster und Türen, geht abends nicht auf die Straße! Denn – soviel Solidarität wird die rechtsgerichteten Jugendlichen zur Gewalt rufen.“

„Das ist eine offene Legitimation von Gewalt“, sagen die jungen Leute in der „Rosa“. „Aber wir haben keinen Bock auf Gewalt.“ Mit der Prozeßkostenparty wurden Linke unterstützt, die für zwei Jahre zurückliegende Straßenkämpfe mit Rechten geradestehen mußten. Damals gab es hier noch festgefügte „Lager“, und nach wochenlangen schweren Provokationen von Rechts waren Linke zu deren Vereinshaus gezogen. Ermittelt wurde dann nur in eine Richtung, vier Antifas erhielten hohe Geldstrafen.

Niemand in der abendlichen Trauerrunde will sich zurück in die alten „Lager“ prügeln oder drängeln lassen. Doch alle ahnen, daß sie wieder die Verlierer der öffentlichen Verdrängung des Rechtsradikalismus sein könnten. „Solange sich nicht andere Leute in dieser Stadt, die einen anderen Status als wir haben, eine Meinung bilden und sie vertreten, solange allein wir wieder den Spielball reingedrückt bekommen, wird es immer so weitergehen. Wir als Linke sollen uns verhalten, wir sollen Angebote machen, alles starrt auf uns!“