Profis der Liebe, nackt und verdammt

■ Eine Werkschau mit Filmen des japanischen Regisseurs Seijun Suzuki

Puristische Liebhaber der japanischen Filmkunst eines Ozu, Naruse oder Miziguchi werden sich bei den Filmen von Seijun Suzuki vermutlich abwenden, dem Standardwerk „Lexikon des Internationalen Films“ sind die Werke des „Roger Cormans Japans“ nur ein paar abfällige Zeilen wert. Sein 1964 gedrehter Film „Zuflucht der Sirenen“ (Nikutai No Mon), der zuweilen auch unter dem weniger poetischen Titel „Profis der Liebe“ läuft, gilt dem vom katholischen Filmdienst herausgegebenen Standardwerk bloß als „japanischer Spekulationsfilm“ – am 1965 in die Kinos gekommenen „Nackt und verdammt“ (Shunpun Den) werden die „groben Mittel“ seiner Filmsprache bemängelt.

Während Kritiker Suzukis Filmen mangelnden Ernst, Unterhaltsamkeit und Kommerzialität vorwarfen, genießt der Regisseur bei anderen inzwischen „Kultstatus“, denn in der Entfernung, die das Nachkriegsjapan unter amerikanischer Besetzung nur noch vom Hörensagen kennt, für ein Publikum, dessen Blick nicht mehr durch damals als skandalös empfundene Sex- und Gewaltszenen verstellt ist, gewinnen die Filme neue Qualitäten. Was damals wie ein krudes effekthascherisches Durcheinander gewirkt haben mag – die 1964 gedrehte „Zuflucht der Sirenen“ zum Beispiel –, erscheint heute wie eine subversive Mischung aus komischen, melodramatischen, Gangster-, Sex-, Kommerz- und Kunstkinoelementen.

„Zuflucht der Sirenen“ spielt im besetzten Nachkriegs-Tokio, das ein wenig theatralisch im Studio nachgebaut wurde. Fünf junge Frauen haben sich in einer zerbombten Kirche ein Bordell eingerichtet. Die Huren, denen jeweils eine Farbe zugeordnet ist, bilden eine stolze Familie, deren Hauptgesetz lautet, daß es keine von ihnen den Kunden – meist tumbe amerikanische Soldaten – umsonst machen darf.

Sie bekämpfen in turbulenten Szenen all jene, die sich erdreisten, auf ihrem Gebiet zu wildern. Das Bestehen auf der Käuflichkeit ihrer Körper, der Ausschluß von Liebe, macht die Gruppe souverän. Nachdem eine der Frauen sich verliebt, es umsonst macht – und das bedeutet: die Gruppe verrät – wird sie von ihren Kolleginnen lachend gefoltert und ausgeschlossen. Ein anderes Mädchen ersetzt sie.

Irgendwann stößt Shi, ein hübscher japanischer Deserteur, dem die Polizei auf den Fersen ist, weil er einen amerikanischen Soldaten erschlagen hat, zu den Huren. Nach kleinen Scharmützeln, in denen die Huren unterliegen, wird er aufgenommen, um später eine immer ambivalente Führungsrolle einzunehmen. Zwar bedienen und verehren ihn die jungen Frauen, doch sie halten ihn sich auch wie ein niedliches Tierchen. Die Regeln des Zusammenlebens, das heißt auch des Bestrafens, bestimmen weiterhin sie, mag auch der Zusammenhalt immer brüchiger werden.

Während eine der Huren die Liebe entdeckt und für ihre Liebe am Kreuz die Strafe ihrer zynischen Kolleginnen erleidet und ihnen heroisch vorwirft: „You're jealous because I know the secrets of the flesh“, reagiert eine andere auf das Liebesverbot mit Blasphemie und Zynismus. In einer großartig expressionistischen Szene verführt sie einen sympathischen schwarzen Priester, der ihr den rechten Weg zeigen wollte. Entsetzt bringt sich der gefallene Priester danach um. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf: eines der Mädchen verliebt sich in Shi und will mit ihm fliehen. Aus Eifersucht verraten die anderen den Mann an die Polizei. Er wird erschossen. Alle sind unglücklich, der Film ist zu Ende. Neben einem sehr seltsamen Durcheinander aus stilisierten Kunstszenen, Gangster- und Nacktfilmpassagen beeindrucken vor allem die unglaublich lebendigen, spielfreudigen Schauspielerinnen.

Eher ins Jugendfilmgenre fällt dagegen Suzukis erster Farbfilm von 1960. „Verreckt, Ihr Halbstarken“ erzählt die Geschichte von Sadao, einem bohememäßigen Jugendlichen, der plötzlich erfährt, daß er in Wirklichkeit ein Fürstensohn ist. Seine Familie verschleppt ihn auf die Insel Awaji und versucht, ihn dort in einem goldenen Käfig zu halten. Seine amerikanisierten Glücks- und Liebesvorstellungen – eine Kombination von Malerei und Bill Haley – prallen dort mit den traditionellen Vorstellungen seiner Familie zusammen. Doch Sadao ist nicht nur dem Vergnügen zugetan: sein unbekümmerter Amerikanismus hilft ihm, gegen den fiesen Präsidenten eines Touristikunternehmens, der sich die Insel unter den Nagel reißen will, zu bestehen. Wer mehr Filme von Seijun Suzuki sehen will (die Gangsterfilme sind allerdings die besten), sollte sich in nächster Zeit ab und an ins Arsenal begeben. Detlef Kuhlbrodt