In sinkender Haltung empfangen

Ist das „eyeballfilling“ IMAX-Format, der große Bruder von Cinemascope, eine Wunderwaffe gegen den privaten Kinoersatz? Der Weg zum planetarischen Ganzheitserlebnis, dem OMNIMAX, ist gar nicht mehr weit  ■ Von Mariam Niroumand

Als „Bwana Devil“, der erste 3-D-Spielfilm, 1953 das erste Mal unter die Leute gebracht wurde, posaunte der Pressetext, den Besucher erwarte „ein Löwe im Schoß, eine Geliebte im Arm“. Dem triumphalen Ton war ein leises Knieschlottern unterlegt; würde man sich mit diesen Jahrmarktspektakeln wirklich gegen das Fernsehen durchsetzen können? Cinemascope, das mit der anamorphen Linse aufgenommene, auf die Breitwand projizierte Bild, hielt dann für ein paar Jahre den Vorsprung, es versetzte die Filmindustrie sogar in die Lage, das Fernsehen zu einem Absatzmarkt für eigene, nicht dreidimensionale Produkte zu benutzen. Hitchcocks „The Rope“ und Negulescos „How to Marry a Millionaire“ gaben den Kinogängern plötzlich das Gefühl, unmittelbarer Teil der Filmchemie zu sein, Seit' an Seit' mit Monroe, Bacall und Betty Grable. „Tempo, panoramatische Sicht, scharfes Chiaroscuro, satte Farben und ein episches mis-en-scène“ wurden allgemein beschwärmt; interessanterweise hoben die ersten Kritiken jedoch auf die traditionellen Elemente, auf Plot, Stars, Dialoge ab.

Damit allerdings ist es natürlich jetzt, wo man sich allenthalben im Sauseschritt auf den Daten-Highway zubewegt, auf dem jeder beliebige Teilnehmer sich seine interaktiven Spiele, Filme auf CDs, HDTV-Projektionen kommen lassen kann, vorbei. Nun muß sich das Kino schon schärfere Munition basteln. „Das Bild eines guten Farbfernsehers ist heute nicht mehr so verschieden von dem im Kino. Wenn die Leute also schon mal einen Fuß vor die Tür machen“, so dreute der American Cinematographer unlängst, „dann muß das Bild mindestens ,augapfelfüllend‘ sein. Mit dem shared social experience und der guten Kinogeschichte ist es nicht mehr getan.“

Eine mögliche Lösung zeichnete sich auf der expo '67 in Montreal ab, als der Filmhasardeur Roman Kroitor „Labyrinth“ zeigte: Fünf Leinwände waren vertikal und horizontal in der Form eines Kreuzes miteinander verschränkt, der Film war mit fünf ebenso arrangierten Kameras aufgenommen und wurde in verschiedenen Positionen innerhalb des Kreuzes projiziert. Die verblüfften Besucher verglichen den Effekt mit dem, was die ersten Filmzuschauer um die Jahrhundertwende vor den Leinwänden mit den einfahrenden Zügen erlebten. Nur der Japaner war wieder schneller und brachte Kroitor mit einem Mann von Fuji zusammen. Es war ja klar, daß die Chose nicht so oktopushaft bleiben konnte, mit fünf Armen und so weiter – es mußte ein einheitliches Format entwickelt werden. Ohne hier mit den Details langweilen zu wollen, geht es so vor sich, daß ein 70-mm-Rahmen horizontal statt vertikal durch Kamera und Projektor läuft; da auf 65mm gedreht wird, entsteht ein Leinwandformat von 1.435, statt des Standardformats von 1.33.

Die Rezeptionshaltung für einen IMAX-Film ist die des Versinkens; was noch durch die Tatsache verschärft wird, daß man in IMAX-fähigen Kinos äußerst flach sitzt. Der Schritt zum Planetarium ist nicht mehr weit. Weil IMAX- Filmmaterial, -Projektoren und -Kinos extrem teuer sind, entstanden die wichtigsten Filme bislang nur in Zusammenarbeit mit Großkonzernen: Nasa, NTT, Lockheed, Fujitso etc. Klar, daß da einstweilen auch nur bestimmte Genres möglich sind. IMAX ist immer entweder feierlich oder didaktisch. Fast religiös anmutende Naturgeschichtsepen wie „Ring of Fire“, Trancefahrten durch den Taj Mahal, über die Chinesische Mauer oder unter Wasser; Technik-Rave („I Write in Space“), Tourismus („Die Schweiz wie noch nie“; „Niagara: Miracles, Myths and Magic“), Abenteuer logischerweise und ein Genre wie „Große Momente der Menschheitsgeschichte“: „Der Herrscher von China“, „Darwin und die Galapagos- Inseln“ oder „Alamo“... „Eigentlich gibt es keinen Grund, warum man nicht auch Pop-Konzerte auf IMAX drehen sollte“, stellt die Filmwissenschaftlerin Tana Wollen nicht ohne ein gewisses Naserümpfen fest.

Wollen und andere Avantgardisten befürchteten zunächst noch, daß IMAX die Handschrift des auteurs verwischen würde. Schließlich tritt die Montage in den Hintergrund, schnelle Schnitte sind nur auf Kosten von Übelkeit und Brechreiz zu haben, und nur der Himmel weiß, wieviel Make-up es kostet, einen Close-Up im Format von 26 mal 35 Meter erträglich zu machen. Stunts, schnelle Dialoge und Schlagabtausch sind nur unter extremer Verlangsamung möglich. Frei schweifend muß der Blick des Zuschauers sich eigene Fixpunkte auf dem Tableau suchen. Gerade deshalb aber sind auch die früheren Kritiker inzwischen näher herangerobbt. Regisseur Georges DuFaux ist ganz easy: „Der Film hat sich längst freigestrampelt von der ,Türklinken‘-Narrativität. Durch das Fernsehen (sic!) haben die Zuschauer sich immer mehr an eine immer größere Bildmischung gewöhnt (Nachrichten, Spielfilme, Werbung etc.), haben sie von der traditionellen Erwartung einer Quasi-Theater-Erfahrung befreit.“

Visueller Tourismus à la IMAX soll sich nahtlos einschmiegen in die Shopping-Mall-Geruhsamkeit. Wenn das Einkaufen zum Ausflug wird, erwacht der Adorno in uns; aber ganz ungelehrt ist auch dieser visuelle Tourismus nicht. Bislang findet IMAX nämlich noch hauptsächlich in Museen, Messen und Ausstellungen statt. Die IMAX- Strategen geben nun in Variety bekannt, zu den weltweit 118 Kinos in den USA, Japan und Kanada noch 35 weitere eröffnen zu wollen. Man weiß nicht, ist es Pfeifen im Walde aus Angst vor HDTV oder tatsächliche Hoffnung, wenn IMAX- Funktionär Douglas Trumball behauptet: „Wir können jetzt ohne weiteres IMAX auf digitales Format bringen, so daß die Bilder unmittelbar graphisch bearbeitet werden können. Außerdem entwickeln wir Computerbilder, die man in die laufenden Film einmontieren kann. Die einzige Frage ist: Wieviel visuelle und akustische Information kann das Publikum verarbeiten?“