■ Über Gedenkstätten und das Gedenken
: Am besten mit Koscherkost

Am 23. November hat man dreier verstorbener ausländischer Mitbürger gedacht: Bahide Arslan (51), Yeliz Arslan (10) und Ayse Yilmaz (14). Erinnern Sie sich noch an ihre Namen? Von der Stadt Mölln jedenfalls, der Stadt, wo sie vor genau zwei Jahren durch einen Brandanschlag ums Leben kamen, haben viele, ja fast jeder gehört.

Mölln, Solingen und Hoyerswerda wurden herausgestellt. Gerade so, als ob dort mehr Neonazis verkehrten als anderswo. Tiefschürfende Reporter fanden sogar heraus, daß in Solingen Adolf Eichmann geboren wurde. Er verließ die Stadt aber noch als unbescholtenes Kind. Heute ist er uns als Österreicher in Einnerung. Aus diesem Grund verzichtete Bonn damals darauf, die Auslieferung Eichmanns von Israel zu fordern.

In Mölln läuft das Gedenken wahrlich auf Hochtouren. Eine zehn Meter hohe Skulptur vor dem Haus in der Mühlenstraße 9 soll an die Flammen der Rassisten erinnern. Eine Tafel soll die Namen der Opfer tragen. Am sinnigsten ist jedoch, daß im nächsten Sommer das naturkundliche Heimatmuseum in eine kulturelle Begegnungsstätte umgebaut und nach Bahide Arslan benannt wird. Warum? Arslan war Türkin. Dafür wurde sie ermordet, nachdem sie zwei Jahrzehnte in Deutschland gelebt hatte. Und trotz alledem behaupten ihre Verwandten weiterhin, daß Mölln ihre Heimat sei.

Den populistischen Vorschlag der Grünen, die kleine Gasse am Ort des Anschlags nach Bahide Arslan zu nennen, lehnte die Stadtversammlung allerdings strikt ab. Die Gasse heißt nach alter Möllner „Tradition“, „Lohgerber“, weil Handwerker dort einst Felle gerbten. Auch wenn dieser Traditionsname inzwischen zum Himmel stinkt, hierzulande ist man der Tradition verpflichtet.

Zwei Jahre sind vorbei, und der Anschlag von Mölln ist trotz allen Gedenkens schon in Vergessenheit geraten, obwohl in Deutschland der Gedenkkult überentwickelt ist, besonders am 9. November. So gedachte man in Lübeck zum Jahrestag der Reichspogromnacht der Opfer des Brandanschlags auf die Synagoge am 25. März 1994. Vielleicht tut man sich dort leichter mit dem Gedenken, weil es beim letzten Anschlag keine Opfer gab.

Am Samstag gedachten Autonome in Göttingen der Studentin Cornelia Wessmann, die 1989 vermutlich von der Polizei ermordet wurde. Am Sonntag wurde in Berlin eine Gedenktafel für Harro Schulze-Boysen enthüllt, einen Widerstandskämpfer gegen die Nazis, der 1942 ermordet wurde. Und in Mölln berichtete die Lokalpresse zwar über die Einweihung des Mahnmals am Wochenende, aber irgendwie hatte man dort vergessen, die Namen der Opfer zu erwähnen, vielleicht aus Angst vor Druckfehlern.

Auf keinen Fall darf man vergessen. Aber dem Zusammenleben hilft auch gedankenloses Gedenken nicht viel. Die Arslans zum Beispiel werden nur dann wieder in ihr altes Haus einziehen, wenn auch deutsche Familien mit einziehen. Diese Idee, Deutsche in Sicherheitsobjekte zu verwandeln, ist sicherlich interessant. Auch 1938 wurden einige Synagogen verschont, weil sie dicht an einem deutschen Gebäude standen. Aber so einfach ist diese Lösung auch nicht.

Sollte man zum Beispiel deutsche Staatsbürger türkischer Herkunft einziehen lassen. Sie dürfen zwar auch im Bundestag sitzen, aber würden neue Täter sie aus diesem Grund als Deutsche betrachten? Auch Rathenau war assimiliert und sogar Außenminister, dennoch wurde er als Jude ermordet. Und wenn man Deutsche einziehen läßt, die ausländerfreundlich sind? Sie werden zwar gute Nachbarn sein, aber sind sie nicht selbst ein Sicherheitsrisiko? Dann nämlich, wenn sie mit langem Haar und Dritte-Welt-Pullover herumlaufen? Am besten aber nimmt man gleich deutsche Rechtsradikale. Solche, deren Gesinnung am kahlen Kopf erkennbar ist. Denn, daß ist nicht immer leicht, weil viele ihre Gesinnung verstecken. Auch aus Karrieregründen. Oder können Sie sich einen Rechtsradikalen als Richter vorstellen?

Aber eigentlich müßten es Rechtsextremisten sein. Diese unterscheiden sich von den Rechtsradikalen nicht nur darin, daß sie Hitlers Geburtstag nicht zu Hause, sondern in aller Öffentlichkeit feiern. Für unser Anliegen allerdings ist entscheidend, daß Rechtsextremisten, im Gegensatz zu Rechtsradikalen, vom Verfassungsschutz beobachtet werden, vor allem wenn sie untätig zu Hause sind. Sicherlich könnte man das Haus in der Mühlenstraße 9 ständig überwachen lassen, die Arslans werden miteinziehen, und in Mölln wird wieder alles in Ordnung sein. Friedlich und ruhig, wie in jeder multikulturellen Gesellschaft.

Aber wie und wo findet man in Mölln Rechtsextremisten? In aller Welt wurden zwar diese Kleinstadt und ihre Einwohner diffamiert, aber nicht mal die Täter des Brandanschlags waren Möllner, sondern Fremde. Der eine kam aus Gudow, zehn Kilometer entfernt, der andere ist kurz vor dem Attentat aus Eutin zugezogen, wo er vermutlich zum aktiven Rassisten aufgewachsen war.

Und wenn man die passenden Rechtsextremisten fände, mit Bomberjacken und alledem, was dazugehört, wie und mit was könnte man sie überreden, mit Türken in ein Haus einzuziehen? Und wären die Möllner überhaupt bereit, solche Einwohner zu „importieren“, falls bei ihnen passende Kandidaten nicht gefunden würden? Und wie stellt man sicher, daß die überwachenden Beamten vom Verfassungsschutz nicht selbst ausländerfeindlich sind? Wie man sieht: Das Zusammenleben mit Ausländern bringt unendlich viele Probleme mit sich. Viel leichter ist es daher, gleich unter sich zu bleiben und der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Am besten mit Koscherkost und Klezmermusik. Igal Avidan