■ Sollen in Bosnien auch deutsche Kampfflieger eingreifen?
: Bequemes und Unerträgliches

Nun müssen die Bundesregierung und die Opposition im Falle Bosnien Farbe bekennen. Wahrscheinlich ist es sogar so, daß der Bundesaußenminister seine Kollegen im Nato-Rat gebeten hat, diese maliziöse Anforderung von acht Tornado-Flugzeugen gerade jetzt zu stellen. Nichtsdestotrotz wiederholt sich eine gespenstische Debatte, wobei man das Déjà-vu-Gefühl nicht loswird. Die Bündnisgrünen wähnen sich auf der sicheren Seite der Geschichte, indem sie besonders radikal die Bundesregierung bezichtigen, das Drama in Bosnien für ihre eigentliche Strategie zu funktionalisieren, die Remilitarisierung der Außenpolitik voranzutreiben. Doch müssen sie endlich verstehen, daß sie in Fragen des Pazifismus im Mainstream der deutschen Gesellschaft bequem mitschwimmen. Egal, was in Bosnien passieren mag, stereotyp schallt es aus dem schwarzrotgrünen Urwald der Gutmeinenden zurück, jegliche militärische Intervention vergrößere die „Kriegsgefahr“. Alle Wetter! Die Leutchen müssen aus persönlicher Erfahrung einiges gewöhnt sein – als ob das, was dort seit drei Jahren stattfindet, den Namen Krieg nicht verdient.

Um den Preis, mich erneut unbeliebt zu machen, möchte ich mal folgendes ausmalen: Der Bundeskanzler Helmut Kohl erklärt im Deutschen Bundestag vor deutschen Parlamentariern: „Ich bin mir bewußt, daß das deutsche Volk, die deutsche Wehrmacht, während des Zweiten Weltkriegs den Völkern in Bosnien und Serbien schweres Leid zugefügt hat. Hiermit möchte ich mich in aller Öffentlichkeit entschuldigen. Deutsche Soldaten und deutsche Flugzeuge können deshalb eigentlich nicht in dieser Region eingesetzt werden. Aber wenn die UNO der Nato den Auftrag gibt, die Kinder und die Frauen in Bihać zu retten und zu versorgen und/oder alles zu tun, damit Sarajevo am 31. Januar 1995 nicht den tausendsten Tag seiner Belagerung erleben muß, dann finde ich, daß wir uns gerade angesichts der deutschen Geschichte unserer historischen Verantwortung nicht entziehen können. Die angeforderten Tornados dürfen wir nur für eine solche präzise definierte, humanitäre Intervention zur Verfügung stellen.“

Es wäre doch geradezu lachhaft, wenn wir die deutsche Geschichte zur Legitimation dafür heranziehen, daß wir Menschen in Not nicht retten wollen. Es geht bei Sarajevo um die Durchsetzung der UN-Resolution, die den freien Zugang zur Stadt fordert. Es geht nicht an, daß durchgeknallte serbische Terroristen eine ganze Stadt als Geisel nehmen können, weil die Welt lieber weg- als hinschaut. Und noch eins: Es ist unerträglich, daß UNO-Soldaten, die, von einer UNO-Resolution legitimiert, sich irgendwo befinden, als Geiseln genommen und gehalten werden. Dies bedeutet das Ende jeglicher möglicher UN-Politik in Bosnien und anderswo. Ich finde, daß die Nato ganz konkret drohen sollte, im Falle der Weiterführung dieser Geiselnahme die Kommandozentrale der bosnischen Serben in Pale anzugreifen.

Die Bündnisgrünen haben auf ihrem Parteitag vom Wochenende eine Resolution verabschiedet, in der sie „die Sicherung der Transportwege für die humanitäre Hilfe durch Unprofor“ fordern. Einverstanden! Aber wie bitte, liebe Parteifreunde, sollen diese Wege dann gesichert werden, wenn nicht militärisch? Und das bedeutet doch Krieg! Oder wollt Ihr die 200.000 Menschen der belagerten und beschossenen muslimischen Enklave Bihać, die vom Hungertod bedroht sind, weil die Serben seit Mai nur 14 von 140 UNHCR-Konvois durchgelassen haben, mit weiteren Verhandlungen trösten? Ihr fordert die „Öffnung der Flughäfen von Sarajevo und Tuzla“. Einverstanden! Es ist eine ausgezeichnete Forderung, zumal die Luftbrücke nach Sarajevo seit über zwei Wochen außer Betrieb ist, weil die Serben die Anflugschneise mit Flugabwehrraketen bedrohen. Aber wie bitte wollt Ihr sie durchsetzen, wenn nicht militärisch?

Ich habe in einer Frankfurter Sonntagszeitung Joschka Fischers erste Turnübung in der Außenpolitik nachlesen können. Er wird mir hier einige Nachhilfegedanken erlauben. Er begründet die Unmöglichkeit der militärischen Intervention in Bosnien damit, daß auch in Angola, Mosambik, Afghanistan und andernorts das Drama eskalieren wird. „Ich habe für all diese Konflikte keine Lösung“, sagt der Vorsitzende. Mir fällt dazu schon was ein: In Afrika müssen die afrikanischen Staaten unter der Führung von Mandela (Südafrika) eine eigene humanitäre Interventionstruppe stellen, die, unterstützt von der UNO, und wenn es sein muß von Europa, UNO-Beschlüsse in Angola, Ruanda, Burundi und anderswo selbst durchsetzt. In Afghanistan, sprich Kabul, müssen die Amerikaner das ausbaden, was sie selbst verschuldet haben. Denn im Widerstand gegen die Sowjetunion haben die USA immer die fundamentalistischsten Gruppen gefördert und bezahlt. Deswegen müssen sie dort dafür geradestehen, wenn die UNO eine Intervention beschließen würde.

Bosnien aber – falls der Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen dies vergessen haben sollte – befindet sich mitten in Europa. Die bosnischen Muslime, die den Großteil der Bevölkerung in Bosnien ausmachen, waren bis jetzt säkularisierte Muslime, die uns in Europa aufzeigten, daß es einen Islam jenseits des Fundamentalismus gibt. Millionen von Muslimen, die in Europa leben, hofften, daß die Europäer in der Lage sein würden, ihre Vernichtung zu verhindern. Deshalb ist es die Aufgabe der Europäer, das Haus Europa in Ordnung zu halten.

Eine Renationalisierung des Denkens entsteht dann, wenn die Völker der Welt sehen, daß keine internationale Gemeinschaft bereit ist, das kleine multikulturelle Volk in Bosnien zu unterstützen. Dann beginnt der Glaube an die Nation wieder stärker zu werden, denn jeder kann sicher sein, daß die Deutschen nur die Deutschen, die Franzosen nur die Franzosen, die Engländer nur die Engländer und die Serben nur die Serben schützen werden. Wer also eine Internationalisierung einer Außenpolitik will, muß auch die Internationalisierung der Verantwortung akzeptieren.

Ich bin der festen Überzeugung, daß die Mehrheit der Menschen in Deutschland abstrakt dies sogar unterschreiben würde, aber konkret genauso wenig wie andere Völker bereit ist, die Konsequenzen daraus auf sich zu nehmen. In Sonntagsreden sind wir zwar alle bereit, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Jetzt wissen wir, daß Lernprozesse den individuellen Egoismus stark beeinträchtigen können... Daniel Cohn-Bendit

Mitglied des Europäischen Parlaments für Bündnis 90/Die Grünen und Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt/Main