Die große Angst vor Stefan Aust

■ Rudolf Augstein hat sich noch einmal durchgesetzt - zur Hälfte. Die Vertreter der "Spiegel"-Belegschaft haben sich von Chefredakteur Kilz getrennt. Wann akzeptieren sie auch Augsteins Wunschkandidaten...

Rudolf Augstein hat sich noch einmal durchgesetzt – zur Hälfte. Die Vertreter der „Spiegel“-Belegschaft haben sich von Chefredakteur Kilz getrennt. Wann akzeptieren sie auch Augsteins Wunschkandidaten Aust, Chef von „Spiegel-TV“?

Die große Angst vor Stefan Aust

Am Montag noch war einigen Redakteuren mächtig ketzerisch zumute, und nicht wenige träumten vom Vatermord. „Wäre nicht auch Erich Böhme ein guter Spiegel-Herausgeber“, dachte ein verärgerter Ressortleiter laut nach. Grund für die Wut: Diesmal war die Einmischung des autoritären Übervaters Rudolf Augstein äußerst dreist ausgefallen. Sich vorführen lassen wie dumme Schulkinder, das stieß vielen der angesehenen, hochgelobten Spiegel-Redakteure sauer auf.

Denn der „Alte“ hatte Chefredakteur Hans Werner Kilz eine Falle gestellt. Augstein kannte den Bosnien-Kommentar von Olaf Ihlau, der als Anlaß für den Hauskrach herhalten mußte, bereits vor Abdruck. Kaum war der Beitrag erschienen, tobte Augstein los und forderte die Ablösung von Chefredakteur Hans Werner Kilz. Nachfolger sollte, welche Überraschung, Augstein-Liebling Stefan Aust werden, der Chefredakteur von „Spiegel-TV“. Vor drei Monaten schon wollte Augstein seinen Ziehsohn in die Chefredaktion zu Kilz holen, doch die Redaktion bockte. Diesmal sollte nichts mehr schiefgehen: Falls sein Vorschlag nicht angenommen würde, sei er die längste Zeit Herausgeber gewesen, drohte der 71jährige Spiegel-Gründer mit seinem Mythos.

Doch der Mythos des hervorragenden Journalisten und Verlegers, des ganz Großen der deutschen Presselandschaft, bekommt zunehmend häßliche Züge. „Blufft Augstein?“ fragte ein Redakteur in der Sitzung. Antwort: „Keine Ahnung.“ Es gibt keine nach oben hin offene Augstein-Skala. Und einer, der Augstein gut kennt, raunte: „Da steckt doch mehr dahinter. Der hat einen Masterplan für den ganzen Laden in der Tasche, um seine Nachfolge zu regeln.“

In einem sind sich alle Fraktionen im Spiegel einig: Augstein ist zur unberechenbaren Figur geworden, eine Art Restrisiko. Und nicht wenige haben Angst, daß er, sollte er seinen Willen nicht bekommen, sein Lebenswerk lieber mit ins Grab nimmt, als jemanden herrschen zu lassen, den er nicht bestimmen darf. „Eher tingelt er redselig durch die Talkshows und redet den Spiegel kaputt“, sagen diejenigen, die zunehmend weniger Lust auf den störrischen Alten haben. „Der Spiegel gehört ihm, er soll machen, was er will“, sagen die Artigen. Und Hätschelkind Hellmuth Karasek erklärt den Spiegel für tot, falls Vater Augstein aussteigt. „Das wäre, als ob der Papst den Vatikan allein läßt“, jammert ein Redakteur, der wegen der Ikone Augstein zum Spiegel gegangen ist. „Immerhin lag Augstein auch in den letzten Jahren mit allen Entscheidungen immer richtig, siehe deutsche Einheit etc.“

Fakt ist, daß der Augstein-Mythos mehr in den Köpfen der Redakteure lebt als in denen der Leser. Längst vorbei die Zeiten, als sich Titel, in denen der Name Augstein stand, besser verkauften als andere. Und doch: Der Imageverlust wäre enorm. Bis Dienstag nachmittag verhandelten die fünf Vertreter der Mitarbeiter KG, bevor sie beschlossen, folgsam zu sein. Sie entließen den Chefredakteur Kilz. Die beiden Redaktionsvertreter waren bei dieser Abstimmung gespalten: Einer stimmte für Kilz' Entlassung, einer dagegen. Da sich auch die beiden Verlagsstimmen neutralisierten, gab die eine Stimme der Dokumentation den Ausschlag. Die Angst vor Augsteins Ausstieg war zu groß. „Das will niemand, auch die Mehrheit der Redaktion nicht“, erklärt KG- Sprecher Peter Bölke.

Aber damit ist noch kein Ausweg aus der Krise gefunden. Eine Mehrheit stimmte gegen Kilz – aber eine Mehrheit ist auch gegen Stefan Aust. Keiner wollte Ariane Barth zuhören, die als Augstein- Lobbyistin auf der Montagssitzung zu einem Loblied auf die Leistungen Austs anhub. Und als Karasek, der zuvor im „Heute-Journal“ seinen Chef Augstein lobhudeln durfte, begann, Kilz zu beschimpfen, fertigte ihn ein Kollege knapp ab: „Du machst aus der Krise doch nur einen Quickie für dich.“ Und er bekam Applaus.

Ebenso wie Chefredakteur Kilz, doch dieses Händeklatschen war mehr ein Abschied. Längst hatte der freundliche Chef mit den angenehmen Umgangsformen fast alle Redakteure hinter sich. Und konnte dennoch der Versuchung nicht widerstehen, sich selbst anzupreisen. „Ich habe in zwei Jahren mehr geschafft als andere in zwanzig“, sagte er. Und sprach sich um Kopf und Kragen. Ähnlich würdelos sei dieser Auftritt gewesen wie seine Moderation bei einer Berliner Podiumsdiskussion vor einigen Wochen.

Daß Kilz für den „Krieg gegen Focus“ (Spiegel-Redakteur) zu brav war, darüber ist man sich einig in der Spiegel- Redaktion. Von einer Lähmung ist die Rede und von dringendem Reformbedarf, technisch wie inhaltlich: „Das hätte alles schon vor fünf Jahren passieren müssen“, schimpft ein Ressortleiter, „in den fetten Jahren haben wir nicht an die Zukunft gedacht.“ Doch auch jetzt spielt die Redaktion wieder auf Zeit, um Aust zu verhindern. Zunächst sollen die Stellvertreter Dieter Wild und Joachim Preuß den Tanker weiterlenken. „Vielleicht klappt das ja, die Auflage wird es zeigen.“ Doch Augstein will Aust. „Ihr habt keinen Vorschlag, ich hab einen. Also.“

„Stefan Aust ist eine Angstfigur“, sagt ein Redakteur, und spricht damit dem Großteil der Redaktion aus der Seele. Tatsächlich gilt der 48jährige als beinharter, gefühlloser, hartherziger Hund. In der „Spiegel TV“-Redaktion nennt man ihn „kleiner Napoleon“. Er hört nicht zu und verlangt den Leuten das Letzte ab.

„Der preßt solange, bis Blut kommt“, sagt eine Mitarbeiterin. Vergangenes Jahr hatte die Redaktion in drei Monaten eine Fluktuation von 30 Prozent. Was allerdings auch damit zusammenhängt, daß Aust mit sehr jungen Leuten, oft völligen Neulingen, arbeitet. Das wird auch ein Problem. „Wir beim Spiegel lassen uns nicht behandeln wie Volontäre“, sagt ein altgedienter Spiegel-Redakteur. „Aust ist nicht Spiegel-kompatibel.“ Zu boulevardesk, zu seicht, zu unpolitisch sei sein „Spiegel- TV“, Fast-food-Journalismus werfen die Spiegel-Redakteure dem Fernsehmacher vor. „Wenn der das gleiche auf Print macht, hat man Focus.“ Der Buchautor und langjährige Chef des Fernsehmagazins „Panorama“ habe zudem keine nennenswerte Printerfahrung. Außerdem sind die Spiegel- Schreiber verärgert: „Wir stoßen zunehmend auf Leute, die nicht mehr mit uns reden wollen, weil ,Spiegel-TV‘ sie gelinkt hat. Aust verletzt ein heiliges Spiegel-Gesetz: Er hinterläßt verbrannte Erde.“

Zwar versprach der Erfolgsmensch Aust, der das 1988 gegründete „Spiegel-TV“ bereits in die Gewinnzone geführt hat, daß er Print völlig anders angehen würde. Doch die Angst liegt wohl mehr im menschlichen Bereich. „Der Aust ist beruflich ein Talent, aber menschlich eine Katastrophe“, hallt es durch die Gänge des Spiegel-Hauses.

Und doch wirken die Vorbehalte gegen den erfolgreichen Enthüllungsjournalisten merkwürdig dünn. Statt seiner politischen Einstellung, seiner Haltung zu Bosnien, zur Asylpolitik, zur PDS steht seine Persönlichkeit zur Diskussion. Die Angst um den Arbeitsplatz läßt die Frage nach der inhaltlichen Konzeption, einer fachlichen Auseinandersetzung mit dem Kandidaten in den Hintergrund rücken – auch ein Zeichen für den desolaten Zustand des Hauses. Aust ist nicht zuletzt zur Angstfigur geworden, weil er, von außen kommend, den Laden möglicherweise auch personell reformieren soll. Loyalitäten hat er dabei nicht zu wahren. Austs Selbsteinschätzung: „Man muß da manchmal hart sein. Das bin ich. Sehr.“ Gegen den ehrgeizigen Bauernsohn aus Stade wirkt der für seine Derbheit berüchtigte Ex-Chef Funk als „Grandseigneur aus dem 18. Jahrhundert“, so ein Spiegel-Autor. 1989 schrieb der Stern über Aust: „Ist Stefan Aust ein guter Chef? Sagen wir so: Er übt.“ Michaela Schießl