Stilles Glück, Ende und Anfang

■ In seiner Weihnachtsansprache legt Bundespräsident Herzog eine betuliche Hand auf brennende Wunden unserer Gesellschaft

Bonn (dpa/taz) – Mit eindringlich gemütvollen Worten läßt Bundespräsident Roman Herzog in seiner Weihnachtsansprache die Sorgen der Bevölkerung Revue passieren. Wir zitieren Auszüge:

„Wenn wir uns frohe Weihnachten wünschen, dann denken wir an Kerzenschein und Gemütlichkeit. Aber Weihnachten hat nicht nur mit stillem Glück zu tun. Es geht auch um neuen Anfang...

Es gibt, das sollten wir nicht vergessen, Menschen, die sich nicht an einem neuen Anfang, sondern am Ende glauben. Wer etwa lange ohne Arbeit ist, der ist in Gefahr, alle Hoffnung zu verlieren...

Manche sprechen davon, die Mauer sei zu früh gefallen, oder sehen sich als Verlierer der Wende. Ein solches Denken geht in die falsche Richtung. Freiheit kommt nie zu früh, aber Freiheit darf auch keine Verlierer haben...

Deshalb ist es unsere wichtigste Aufgabe, den Anfang der neuen Freiheit für jeden einzelnen als Gewinn erfahrbar zu machen. Dazu gehört vor allem die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Sie ist die brennendste Wunde in unserer Wohlstandsgesellschaft. Nicht nur, weil wir mit der Arbeit Geld verdienen, sondern weil wir alle einen großen Teil unseres Lebenssinns in gerecht bezahlter Arbeit finden...

Der Arbeitsmarkt – wie übrigens auch der Wohnungsmarkt – hat direkte Auswirkungen auch auf das Schicksal unserer Familien. Wenn wir weiterhin von den Leistungen der Familie leben wollen, dann müssen wir entschieden familienfreundlicher werden...

Je besser Familien leben können, je mehr Geborgenheit und Wärme in ihnen erfahren wird, um so weniger Angst müssen wir auch vor Verwahrlosung und Gewalt haben...

Sicher werden auch Sie über allen eigenen Sorgen nicht vergessen, wie es jenseits unserer Grenzen aussieht, wo Krieg, Hunger und Elend unvergleichlich größere Not bringen, als wir sie kennen...

Ein Blick über die Grenzen zeigt aber auch, daß es immer wieder neue Anfänge gibt... Verantwortungsbewußte Menschen können neue Anfänge setzen. Sie können einem guten Stern folgen.“