■ Das Portrait
: Louis Lumière

Eigentlich waren weder er noch sein Bruder die Kinoerfinder, als die sie jetzt immer gehandelt werden. Daß Louis und Auguste Lumière heute vor hundert Jahren im indischen Salon des Grand Café auf dem Boulevard des Capucines in Paris zur ersten öffentlichen Filmvorführung einladen konnten, verdankten sie nur ihrer Nase für das, was ohnehin in der Luft lag. Beide hatten in Vaters Fabrik für Fotoartikel gewerkelt, in der Louis sich bereits Verdienste um die Entwicklung trockener Fotoplatten erworben hatte. Von den vielen Prototypen, die seinerzeit kursierten, bekamen die Lumières vor allem Thomas Edisons Kinetoscop vorgeführt, dessen Weiterentwicklung in der Zusammenlegung von Projektor und Kamera bestand, dem Cinématographe. Flugs meldeten die Brüder, die das Ganze zunächst für eine Kuriosität gehalten hatten, ein Patent an. Ruhm & Ehre gebührt Louis eigentlich nur für den Transportmechanismus, ein System von kreuzweise angeordneten Greifzähnen, das die Bilder schnell genug transportierte, um einen Bewegungsbogen zu erzeugen, und langsam genug, daß sie nicht ineinander verwischten. Sein Rohmaterial war zunächst die beschichtete Emulsion, später importierte er USA-Zelluloid. Er entwickelte die Filme in Eiseneimern und stellte Positive her, indem er sie gegen eine lichtbeschienene weiße Wand hielt.

Monsieur le Erfinder Olms Presse

Obwohl Lumière in dem Moment auf den Plan trat, als die Fotografie gerade noch mit der Malerei um den Kunstcharakter konkurrierte (ein Streit, der sich in dem zwischen Jugendstil und Impressionismus spiegelte), lobte die anwesende Presse vor allem den „Naturalismus“ seiner Aufnahmen. In ihnen spiegelt sich ein gediegenes, bürgerliches Selbstvertrauen, die gesammelte Emphase der Gründerzeit: Starr bleibt die Kamera auf Szenen des städtischen Lebens, auf den Einsatz der Feuerwehr, auf bourgeoises Familienleben, einen froh daherstrotzenden Soldaten oder die im Garten Geige spielende Madame Lumière gerichtet. Tumult gab es um seinen bekanntesten Film, „Arrivée d'un train à la Ciotat“, weil die Leute bei dieser Vorführung der Einfahrt eines Zuges in den Bahnhof in Scharen aus dem Kino liefen, obwohl sie doch wußten, „ist doch nur ein Film“. Im Publikum bei der Vorführung am 28.12.1895 befand sich auch ein junger Hitzkopf namens Méliès, der das Kino schlagartig vom Lumièreschen Realismusdiktat befreite und dem wilden Budenzauber öffnete. Mariam Niroumand