Siemens murkst weiter mit MOX

Mischoxyd-Brennelemente-Anlage wird fertiggebaut, obwohl sich AKW-Betreiber von der Wiederaufarbeitung verabschieden  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – „Die rot- grüne Koalition hat von Anfang an auf die Vernichtung der Arbeitsplätze in den Hanauer Betrieben hingearbeitet.“ Der wirtschaftspolitische Sprecher der Landtagsfraktion der CDU in Hessen, Wilhelm Küchler, zog nach dem angekündigten Rückzug von Siemens aus der konventionellen Brennelemente-Produktion in Hanau hart vom Leder. Und der Vorsitzende der hessischen Union und Herausforderer von Ministerpräsident Hans Eichel (SPD), Bundesinnenminister Manfred Kanther, sattelte noch eins drauf: Eichel trage für die einkassierten 250 Arbeitsplätze die persönliche Verantwortung. Er habe schließlich vor vier Jahren das Aus für die Hanauer Betriebe zu seinem politischen Ziel erklärt und anschließend seinen grünen Umweltminister beim Boykott der Genehmigungsverfahren tatkräftig unterstützt.

In der angelaufenen heißen Wahlkampfphase in Hessen – am 19. Februar 1995 wird der neue Landtag gewählt – kommt der Union in Wiesbaden die Abwanderungsankündigung aus der Konzernzentrale in München gerade recht; vergeblich hatte sie wochenlang nach einem heißen Eisen gesucht. Nur eine Wahlniederlage der SPD im kommenden Februar könne noch verhindern, daß das zweite Brennelemente-Werk der Firma Siemens das „Ausstiegs-Schicksal“ ereile, proklamiert Kanther.

Das zweite Brennelemente-Werk, die neue Fabrik zur Fertigung von Mischoxyd (MOX)-Brennelementen aus Uran und Plutonium, kann nach Angaben von Siemens jedoch erst in zwei Jahren den Betrieb aufnehmen. In diesen zwei Jahren werden die Energieversorgungsunternehmen (EVU) entscheiden, ob sie ihre Brennelemente weiter im Ausland für teures Geld wiederaufarbeiten lassen – oder lieber nicht. Schließlich eröffnet das novellierte Atomgesetz den EVU eine zweite Entsorgungschance: die Endlagerung. Eine wie auch immer zusammengesetzte hessische Landesregierung wird auf diesen Entscheidungsprozeß keinen Einfluß nehmen können. Sollten die EVU die Wiederaufarbeitungsverträge mit La Hague in Frankreich oder Sellafield in England aus rein ökonomischen Erwägungen kündigen, würde das neue MOX-Brennelemente-Werk in Hanau eine der teuersten Neubauruinen der Republik werden: kein nach Deutschland zurückfließendes Plutonium aus der Wiederaufarbeitung – keine Arbeit für die MOX-Fabrik.

Daß Siemens mit der Ankündigung, die neue Anlage dennoch bis zum bitteren Ende fertigbauen zu wollen, die eigene unternehmerische Entscheidungsfreiheit an die EVU delegiert hat, wollte Vorstandsmitglied Adolf Hüttl nicht leugnen. Noch werde in Hanau im Einvernehmen mit den EVU weitergebaut, so Hüttl. Doch in Brüssel pfeifen es die Spatzen längst von den Dächern: Diverse deutsche EVU verhandeln schon heute mit ihren französischen und britischen Partnern, um aus den Wiederaufarbeitungsverträgen möglichst billig auszusteigen. Und da wird – etwa bei den Rheinisch- Westfälischen Elektrizitätswerken (RWE) – auch schon mal die politische Karte gespielt. Sollte nämlich in Deutschland eine politische Entscheidung gegen die Wiederaufarbeitung und für die Endlagerung abgebrannter Brennelemente fallen, könnten die EVU mit dem Verweis auf „höhere Gewalt“ ihre Wiederaufarbeitungsverträge wahrscheinlich kostenfrei kündigen, war vor Monatsfrist beim Anti-MOX-Hearing der europäischen Grünen in Brüssel zu hören.

Nicht umsonst drängen die EVU, allen voran RWE, auf die Wiederaufnahme der Energiekonsensgespräche. Ein Geschäft ist die Wiederaufarbeitung abgebrannter Uran-Brennelemente und die Einarbeitung des dabei anfallenden Plutoniums in MOX-Brennelemente nämlich schon lange nicht mehr. Und selbst im atomeuphorischen Frankreich haben Berechnungen der Umweltschutzgruppe „Stop Mellox“ für Irritationen in der Öffentlichkeit gesorgt: 15.000 Tonnen Uran auf dem Weltmarkt kosten umgerechnet etwa eine Milliarde Mark, so Marc Faivet von „Stop Mellox“. Eine vergleichbare Menge aus der Wiederaufarbeitung mit Prozessing schlägt dagegen mit rund 20 Milliarden Mark zu Buche.

Schon proben die EVU in Deutschland den Ernstfall: Der Castor wartet in Philippsburg auf seine Einlagerung im Zwischenlager Gorleben, das – so befürchten nicht nur die Umweltschützer vor Ort – zum Endlager umfunktioniert werden soll. Und kürzlich teilte RWE dem hessischen Umweltministerium mit, daß man auch in Biblis einen Castor mit vier Brennelementen packen und nach Gorleben verfrachten wolle. Ein Ansinnen, das von Umweltminister Rupert von Plottnitz (Bündnis 90/Die Grünen) zurückgewiesen wurde. In Biblis, so der Minister, seien ausreichende Kapazitäten für die Zwischenlagerung vorhanden. Nachdrücklich hatte RWE in der Antragsbegründung darauf hingewiesen, daß doch das neue Atomgesetz die direkte Endlagerung über den Weg der längerfristigen Zwischenlagerung zulasse.

Die Weltfirma Siemens wird wohl in zwei Jahren den „schmerzlichen Verlust“ (Hüttl) von weiteren 350 Arbeitsplätzen bekanntgeben. Und die Konzernleitung wird den Aktionären erklären müssen, warum sie in Hanau erneut – wider besseres Wissen – dreistellige Millionenbeträge in den Sand gesetzt hat. Vorstandsmitglied Hüttl versuchte schon Mitte Dezember vorbeugend den Schwarzen Peter erneut an die hessische Landesregierung weiterzugeben. Aufgrund der Blockadepolitik der rot-grünen Landesregierung, so klagte Hüttl, komme der Bau nur schleppend voran. Mit den angeblich kostenintensiven Genehmigungsverfahren und dem „ausstiegsorientierten Gesetzesvollzug“ der Landesregierung hatte Hüttl zuvor schon die nach Berechnungen externer Experten ökonomisch gebotene Verlagerung der Produktion von Uran-Brennelementen in die USA, nach Frankreich und Belgien begründet – Rückzugsgefechte.

Milliarden werde das alles kosten, glaubt Hüttl, der im Vorstand von Siemens für den Konzernbereich Kraftwerks Union (KWU) zuständig ist. Und allein der Abriß der Uran-Brennelemente-Fabrik dürfte zehn Jahre dauern. Mit einer Belegschaft von rund 300 bis 350 Brennelementewerkern will Siemens den Betrieb dekontaminieren und demontieren und in Karstein, auf der bayerischen Mainseite, technische Komponenten für Brennelemente fertigen lassen. Weil aber Hüttl und Kollegen immer noch an MOX glauben (müssen), wurden in der Personalplanung 350 Arbeitsplätze für den Betriebsteil MOX festgeschrieben.

In einem gemeinsamen Appell an die noch real existierende Belegschaft von Siemens in Hanau haben SPD und Bündnisgrüne im hessischen Landtag erneut Umdenken gefordert und Gespräche über zukunftsorientierte, strahlungsfreie Arbeitsplätze in Hanau angeboten. Schließlich, so gaben Reinhold Weist (Bündnisgrüne) und Kurt Weidmann (SPD) zu bedenken, seien die Beschäftigten in Hanau in Sachen Uran- Brennelemente-Werk schon einmal „Opfer einer bedenkenlos auf Atomkurs setzenden Unternehmensphilosophie“ geworden. Wirtschaftsminister Lothar Klemm (SPD) forderte Siemens auf, endlich Zukunftskonzepte für den Standort Hanau zu entwickeln: „Standortzukunft und Arbeitsplatzsicherheit wären für Hanau möglich, wenn Siemens sich endlich entschließen würde, auf die Konditionierung abgebrannter Brennelemente zum Zwecke der Endlagerung zu setzen.“ Zum Zwecke der Endlagerung? Aber wo bitte ist das Endlager?