■ beiseite
: Alle Jahre wieder – Silvesterobligationen

Mit Silvester ist es doch immer das gleiche. Den ganzen Dezember hindurch hat man damit zu tun, die Weihnachtsfestivitäten zu planen oder zu verdrängen, und wenn man alles glücklich ausgesessen hat, ist meistens schon der 30. und die definitive Einladung natürlich noch nicht eingegangen.

Da telefoniert man schnell mal den Freundeskreis durch, etwas zögerlicher den Bekanntenkreis, schließlich werden sogar Leute, die man eher flüchtig kennt, als potentielle Mitfeierer in Erwägung gezogen. Oder man macht's gleich anonym – Mega Ska, Tropical oder so. Ob beim Fondue zu zweit oder viert, in einer Kneipe, einem Club oder bei einer Party – irgendwie geht's schon vorüber, wird es zwölf und auch wieder eins.

Und am nächsten Tag hört man dann etliche Male den eher als Befehl denn als Wunsch gemeinten Gruß „Froh's Neujahr“. Auch „Gut reingekommen?“ wird man gefragt oder – noch schlimmer – „Gut reingerutscht?“. Als könnte man sich ein Bein brechen, während sich der Zeiger von zwölf auf eins quält. Und als hätte man die Möglichkeit, sich im letzten Augenblick zu weigern, sich im alten Jahr festzukrallen, um nun von dort aus unangemessen gestrig nicht wieder, sondern: immer noch zu erscheinen.

Noch bei der gutwilligsten Interpretation klingen solche Neujahrsgrüße stets etwas höhnisch, denn während einem 364 Nächte im Jahr durch alle Katastrophen hindurch ein Minimum an Selbstbeherrschung abverlangt wird, ist in dieser doch alles gefahrlos und erlaubt. Für jeden Gefühlsausbruch positiver wie negativer Art haben die Mitfeiernden Verständnis, denn in diesen Stunden geht's ja ums Ganze, blickt man doch nicht nur gemeinsam auf den Quarzwecker, sondern der Zeit selbst ins schonungslose Angesicht.

Und wehe, man wagt später zu sagen: „Ach, na ja, eigentlich war's ziemlich langweilig“ oder „Nichts Besonderes gemacht“ – da haftet sofort der Makel des Versagens am Image, mindestens drei Tage lang. Das alles spricht nicht gerade für das Silvesterritual. Und doch, das ist das Komische, exekutiert man es alljährlich wieder, zähneknirschend, genüßlich und frustbereit. Die Klage über die Banalitäten jahresendzeitlicher Obligationen und die Jonglage mit ihnen ist ja selbst schon lange obligatorisch, und wir fügen uns notorisch – hier sowie heute abend. Wenn die Feste schon mit Sicherheit fallen, kann man sie ja wenigstens feiern.

Beim Arrangement gleichweder Festlichkeit gilt es also zunächst, zwischen Trivialität und Originalität zu unterscheiden. Luftschlangen beispielsweise sind fraglos albern, wohingegen es nie verkehrt ist, eine Auswahl von mit Eierlikör und Pflaumenmus gefüllten Pfannkuchen bei sich zu führen, selbst wenn man sich nur zum Billardspielen verabredet hat. Doch das sind schon Feinheiten.

Wichtig ist, den beschlossenen Weg stoisch bis zum Ende durchzuhalten. Wenn Party, dann mit Pappnase, wenn Fondue, dann mit Bleigießen, wenn Kneipe, dann nicht ohne sieben Whisky Soda. Gut ist es, für ein Menü weniger als fünfzig Mark zu bezahlen, noch besser, gleich nach Mitternacht den Ort zu wechseln. Nirgendwo ist es zwar besser als wo man selbst grade war, aber der Silvestermensch ist wie keiner sonst empfindlich und liebt die besonders, die nicht bezeugen können, daß zwischen Alt- und Neujahr auch auf seiner Fete kaum mehr passiert ist als ein Sekundenschlag.peko