Qualmende Gallier im Angebot

Ab heute steht das französische Tabakmonopol zum Verkauf / Seit im 16. Jahrhundert ein Botschafter das Rauchkraut an seinem kranken Koch ausprobierte, steht es hoch im Kurs  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Colbert, der Finanzminister des Sonnenkönigs Ludwig XIV., hat es 1674 erfunden, die Revolutionäre haben es 1791 abgeschafft, Napoléon Bonaparte, der selbsternannte Kaiser, hat es 1810 wieder eingeführt und Edouard Balladur, der Premierminister, verkauft es: das Tabakmonopol. Ein schlichtes Dekret, veröffentlicht in der letzten Dezemberwoche, beendet die Existenz dieses historischen Staatsbesitzes. Von heute an steht es zum Verkauf – meistbietend und noch in diesem Jahr. Angebote nimmt die Regierung in Paris entgegen.

Nationale Symbole ersten Ranges wechseln mit der Transaktion die Besitzer. Allen voran die blauverpackten „Gauloises“ mit dem beflügelten Helm als Logo und die ebenfalls blauen „Gitanes“ mit der Dame, die hochhackig durch Rauchschwaden wandelt, aber auch teer- und nikotinreduzierte neue Zigaretten sowie branchenferne, lukrative andere Produkte. Denn die historische „Societe d' Exploitation Industrielle des Tabacs et des Allumettes“ (Seita) ist mit der Zeit gegangen. Sie produziert vom Streichholz über die Zigarette bis hin zur Zigarre alles, was das Raucherherz begehrt. Daneben hat sie einen gigantischen Vertrieb aufgebaut, zu dem nicht nur eigene Produkte gehören, sondern auch fast alle importierten Rauchwaren sowie die Magnetkarten, ohne die in Frankreich kein Telefonat aus öffentlichen Kabinen möglich ist, sowie die Parkkarten für den Pariser Großraum.

Ein französischer Botschafter in Lissabon stand am Anfang der Karriere, die das Rauchkraut aus den amerikanischen Kolonien in Frankreich machte. Ende der 50er Jahre des 16. Jahrhunderts probierte Jean Nicot die Heilkraft der Blätter der importierten Pflanze an seinem kranken Koch aus. Dessen Genesung sprach sich schnell bis zum Hof in Paris herum. Nachdem der Diplomat begonnen hatte, Cathérine de Medicis mit Tabaksamen gegen ihre Migräne zu versorgen, entwickelte sich das „Nicot-Kraut“ oder „Nicotiniana“ zum modischen Allheilmittel der französischen Noblesse.

Erste Eingriffe der Obrigkeit kamen Anfang des 17. Jahrhunderts von der Kirche, die den Genuß von Schnupftabak – ein „Teufelszeug“ – 1624 und noch einmal 1650 mit einem Bann belegte. Mit der Schöpfung eines Monopols legte wenig später der Staat seine Hand auf das gewinnversprechende neuartige Kraut. Abgesehen von der kurzen Unterbrechung während der Revolution, ist es dabei mehrere Jahrhunderte geblieben: Der Staat kontrollierte den Tabak vom Anbau über die Produktion bis hin zum Verkauf an die Endverbraucher. Erst Frankreichs Schritt in die EWG brachte das Monopol zum Wanken. Die Tabakimporte wurden liberalisiert, die Tabakarbeiter verloren ihr Statut als Staatsbedienstete, und das staatliche Anbaumonopol verschwand.

Doch die Seita blieb Staatsbesitz. Erst spät – und unter dem Druck der ausländischen Marken, die auf den französischen Markt vordrangen – entwickelte das Unternehmen leichtere Produkte als die schwarzen Zigaretten im Maispapier, die den Hals von innen ankratzen und die Stimme rauh machen. Seit Mitte der 80er Jahre gibt es neben den alten schwarzen, die in Frankreich „brunes“ heißen, auch blonde Gauloises und Gitanes. Die „Blonden“, die Seita inzwischen in vielen Variationen produziert – bis hin zum pfirsichparfümierten Glimmstengel „Royale“ – haben den Markt revolutioniert. Die Franzosen, die einst vom Bauern bis zum Intellektuellen tiefschwarz rauchten, bevorzugen heute blonde Zigaretten. Ihre Lieblingsmarke ist die amerikanische „Marlboro“ geworden, direkt gefolgt von der blonden Gauloises.

Radikal geändert haben sich auch die Preise. Galt Frankreich noch in den 70er Jahren als billiges Tabakland, wo es sich lohnte, stangenweise einzukaufen, liegt es heute mit durchschnittlich 15,50 Franc (etwa 4,50 Mark) pro Packung ziemlich weit oben auf der Preisliste. Verantwortlich dafür ist der Appetit des Fiskus, der seit Januar 1993 gleich viermal mit Steuererhöhungen zugeschlagen hat, was die Zigarettenpreise um 60 Prozent in die Höhe trieb.

Die Zigarettenmenge jedoch, die die Franzosen verqualmen, hat sich in den letzten Jahren nur unwesentlich verändert – trotz hoher Preise und des restriktivsten Tabakgesetzes in der Europäischen Union. Laut Statistik rauchen die Franzosen – und das schließt Neugeborene ebenso ein wie lebenslängliche Nichtraucher – jährlich 1.690 Zigaretten. Damit liegen sie an der siebten Stelle in Westeuropa hinter dem Listenführer Griechenland (2.860 Zigaretten pro Jahr) und der drittplazierten Bundesrepublik Deutschland (1.940 Zigaretten im Jahr).

Seit 1992 verbietet in Frankreich das „Loi Evin“ jede Art von Tabakwerbung sowie das Rauchen in öffentlichen Räumen. Jedes Büro, jedes Restaurant muß seither tabakfreien Nichtraucherraum schaffen. Auf Inlandsflügen, in den meisten anderen öffentlichen Verkehrsmitteln und in Geschäften wird das Gesetz auch strikt befolgt. In Bars und Restaurants hängen die Kellner die Nichtraucherschilder nach Bedarf ab oder um. In vielen Büros ist seit dem Loi Evin der Krieg gegen die Raucher ausgebrochen. Wo sich früher kaum jemand traute, gegen die Raucher zu rebellieren, rufen heute Angestellte sogar schon mal nach dem Werkschutz, um besonders renitente Kollegen zur Ordnung zu rufen.

Die Nichtraucherlobby bezeichnet das Verbotsgesetz als Erfolg. Nicht nur, weil seit 92 der Zigarettenkonsum leicht gesunken ist, sondern auch, weil die Zigaretten zunehmend aus dem öffentlichen Raum verschwinden. Die Lobby der Tabakindustrie hingegen verweist auf den europaweiten Rückgang im Zigarettenkonsum, und darauf, daß er in Frankreich trotz des Gesetzes geringer sei als in Nachbarländern ohne Gesetz. Das Loi Evin, so schimpfen seine Gegner, schadet allen, von der Tabakindustrie und der Werbebranche, „die nicht mehr informieren dürfe“, über die Medien, „die keine Anzeigen mehr bekommen“ bis hin zum Konsumenten, „der gar nicht erfährt, welche neuen, gesundheitsfreundlichen Marken es gibt“.

Der geplante Verkauf der Seita bringt nun neuen Zündstoff in den Tabakstreit. Die größten Widerstände kommen von den 5.500 MitarbeiterInnen des Monopols. Sie fürchten um ihre bislang sicheren Arbeitsplätze. Ebenfalls dagegen äußert sich die Nichtraucherlobby, die das Ganze für „reine Ideologie“ hält, mit der der Staat beweisen will, daß die angekündigten Privatisierungen weitergehen.

Schwerfallen wird der Verkauf der Seita nicht. Mit ihrem Jahresumsatz von 16 Milliarden Franc (etwa 4,7 Milliarden Mark) und -gewinn von 600 Millionen Franc ist sie eines der Glanzstücke auf der Liste der 21 zur Privatisierung angebotenen Staatsbetriebe. Die Regierung nennt sie ein „durch und durch gesundes Unternehmen“ und verspricht sich von ihrem Verkauf sechs bis sieben Milliarden Franc für die leere Staatskasse. Die ersten Kaufinteressenten haben sich bereits gemeldet. Doch nicht jeder kommt in Frage. Die Regierung will einen zehnprozentigen Rest der Seita-Aktien für sich behalten. Außerdem schreibt das Dekret vor, daß der „harte Kern“ von 33 Prozent festen Aktionären französisch sein muß. Schließlich werfen die multinationalen Tabakkonzerne schon lange ein begehrliches Auge auf die gutgehende Seita mit immerhin 45 Prozent Anteil am französischen Tabakmarkt.

An einem letzten Stück Kontrolle über den Tabak hält die französische Regierung ohnehin fest: Die 35.700 staatlich autorisierten „Bureaux de tabac“ bleiben die einzigen Stellen, die Zigaretten verkaufen dürfen. Zigarettenautomaten, Dumpingangebote in Supermärkten und Straßenhändler soll es im Land der „Gauloises“ nicht geben.