■ Aus der guten alten Zeit
: Produzieren ist notwendig, leben nicht

Hohe Schornsteine und Abwasserverdünnung, End-of-pipe- Technologien und Grenzwerte, die eine angeblich harmlose Giftmenge bezeichnen – diese Leitlinien offiziellen Umweltschutzes sind keine neue Erfindung. Auch die Drohung von Unternehmern, bei zu strengen Umweltauflagen den Laden dichtzumachen – alles schon dagewesen.

Daß die Rauchgase aus Erzhütten und Sodafabriken zum Waldsterben führen, ist eine Einsicht des vergangenen Jahrhunderts. Ebenfalls aus dieser Zeit stammt die Erkenntnis, daß die lokalen Schäden weniger schlimm sind, wenn der Qualm über weitere Flächen verteilt wird. Dieses Verdünnungsprinzip machte sich auch ein anderer aufstrebender Industriezweig zunutze: die Chemieindustrie.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich aus der chemischen Nutzung des Abfallprodukts Teer die Farbindustrie, die Urmutter der Pharma-, Pestizid- und Kunststoffindustrie. Eine Gefährdung der Umwelt stellte zunächst vor allem der Abfallstoff Arsen dar, wie die Arsenvergiftungen in Basel im Jahr 1864 zeigen, als das Gift in Trinkwasserbrunnen geraten war.

Die deutschen Behörden wurden aufgeschreckt und ordneten die Verklappung der Arsenrückstände in Nord- und Ostsee an. Das wiederum brachte die Küstenfischer, und in ihrem Gefolge auch die niederländische Regierung gegen die deutschen Chemiefabrikanten auf.

Da die Verklappung auch teuer war, ging man nach und nach wieder zur Einleitung des Gifts in die Flüsse über – so auch die 1865 gegründete Badische Anilin- & Soda-Fabrik, heute eher als BASF bekannt. Die Behauptung, Arsen sei bei ausreichender Verdünnung völlig harmlos, konnte sich durchsetzen – zumal sich die Umweltfolgen immer auch auf andere schieben ließen, zum Beispiel auf die reichlich unappetitlichen kommunalen Abwässer.

Daß die Einleitungen so harmlos nicht gewesen sein können, zeigte sich am Protest der Flußfischer, die immer weniger im Netz hatten. Die Industrie jedoch stellte sich auf den Standpunkt, im Widerstreit der Interessen müsse die Chemie Vorrang genießen, denn schließlich verspreche sie viel mehr Reichtum für die Region. Die toten Flußabschnitte müßten eben „als Opferstrecke freigegeben werden. Im gegenteiligen Fall ist die Fabrik zu schließen“, so lautete das Diktum des Chemikers Curt Weigelt anno 1902.

Apart übrigens auch Weigelts Vorschlag, wie mit den sichtbaren, von schwarz über indigo bis purpurrot changierenden Einleitungen umzugehen sei. Man solle einfach komplementäre Farben vorher besser mischen, so daß nur weiße bis graue Flüssigkeiten abgeleitet würden.

Noch deutlicher, auch im Hinblick auf den miserablen Schutz der Arbeiter vor den Giften, formulierte der Direktor der chemischen Fabrik Greisheim-Elektron, Professor Lepsius, den Vorrang der Industrie. Er zog ein Zitat Pompejus' aus dem Jahr 56 vor Christus heran: „Navigare necesse est, vivere non est necesse“ (zur See fahren ist notwendig, leben ist nicht notwendig) hatte der römische Feldherr seinen im Sturm zaudernden Seeleuten zugerufen. „Fabricare necesse est, vivere necesse non est“, verkündete Lepsius den Kritikern der Chemieindustrie. Nicola Liebert