Fast durchgängig HedonistInnen

■ Mehr als ein „Einpersonenhaushalt“: Sozialforscher ergründen „Das Single“

Als die Langspielplatte eine kleine Schwester bekam, nannte die Rillenindustrie sie nicht die „kleine Schwarze“, sondern „die Single“. Der jüngst erschienene Band „Das Single“ ist jedoch kein Opus über Tonträger, sondern über weibliche und männliche Alleinlebende. Warum Herausgeber Gerd Görzinger das Neutrum wählte, darüber kann man nur spekulieren: womöglich um anzudeuten, daß Singles für die Experten Ärgernis und Freude zugleich sind. Denn die Sozialstatistiker wurmt, daß es ihnen kaum gelingt, die widerspenstige Singlemasse in Schubladen zu verstauen. So fragen sie hilfsweise nach „Ledigen“ und „Einpersonenhaushalten“ und merken dann, daß die Kriegerwitwe nicht der wahre Single ist. Und auch nicht jeder Single ist ein Yuppie.

Doch Unübersichtlichkeit hat auch ihre guten Seiten. Das Single eignet sich beispielsweise für den Medienmenschen hervorragend für Trend- und Titelstorys. Vor allem seit Ulrich Beck uns die allseits zitierfähige Risikogesellschaft samt Individualisierungstrend und „durchgesetzten Marktpersönlichkeiten“ – den Singles also – nahegebracht hat: Traditionelle Bindungen fallen weg – nie war das persönliche Partnerglück so wertvoll wie heute und die Gefahr zu scheitern zugleich so groß. Überall lockt und droht „das alltägliche Chaos der Liebe“ – wie das Ehepaar Beck und Beck-Gernsheim 1990 mediengerecht formulierte.

Die Becks haben also einen Theorierahmen um das Single gezogen, die Singleforschung selbst steckt aber, empirisch gesehen, zumindest für Görzinger noch in den Jugendschuhen. Deshalb agieren die Autoren des vorliegenden Bands zum Teil wie Landvermesser. Sie ziehen Striche zwischen Dauersingles und Kurzzeitsingles, zwischen Singles aus Ost- und Westdeutschland, zwischen Singles aus Zwang und freiwilligen Singles aus Passion. Letztere erscheinen dem Sozialforscher vor allem in Gestalt lebensdurstiger Freizeitmenschen, weshalb einige Soziologen den „Hätschelkindern der Konsumgesellschaft“ (Opaschowski) in Discos und bei Feten auf der Spur sind.

Innovativer erscheint es allerdings, die eigenen vier Singlewände mal mit dem Maßband des Stadtplaners zu prüfen: Jeder dritte Haushalt ist ein „Einpersonenhaushalt“, dessen BewohnerIn über mindestens 55 Quadratmeter verfügt. Verglichen damit haben im Bundesschnitt herkömmliche Vater-Mutter-Tochter-Sohn- Ensembles erheblich weniger Lebensraum: Der sterbende Archetyp der Margarinewerbung darf sich jeweils nur auf 19,6 Quadratmetern ausbreiten – ein Faktum, das Städteplanern ernsthaft Sorgen macht. So sinkt beispielsweise im Raum Stuttgart die Einwohnerzahl, doch die Anzahl der Haushalte steigt – und mit ihr die Wohnungsnot.

Singles werden deshalb fast durchgängig als Egozentriker- und HedonistInnen beschrieben – als hätten sie den bösen Freizeitpark Deutschland in Eigenarbeit errichtet. Der Papst unter den Freizeitforschern, Horst Opaschowski, hat Umfragedaten gesammelt, die Düsteres verheißen: „Weil das Freizeit-Ego immer stärker wird, kann sich der sozialfähige Mitmensch kaum behaupten.“ Und wo Hedonismus ist, wächst auch die Gefahr. Umfragen ergaben: Singles werden öfter krank, sterben früher, und ihr grenzenloser Hedonismus wird eines Tages das soziale Pflichtjahr erzwingen – also binde sich, was sich statt dessen ewig prüfet, dämmert's dem Zwischen-den- Zeilen-Leser.

Den Schlußpunkt des Bandes setzt immerhin ein herzblatterfrischendes TV-Kapitel über Singles und Paare, Freud und Leid, Foucault und „Geld oder Liebe“: Bei der christlichen Beichte stellte sich der Abendländer, so Foucault, zum ersten Mal unter selbstreflexiven Diskurszwang, auf der Freudschen Couch sprach er dann zum zweiten Mal über seine geheimsten Sünden. Heute produzieren Love-Shows der Marke „Herzblatt“ Sinnbilder eines gesellschaftlichen Konflikts: Das problematische „Raus aus der Tradition, rein ins Partnerglück“ wird medial zelebriert – auf dem Wege der Beichte und des Anbandelexperiments. Doch ist die Auswahl ungleich größer als in den Amtskirchen: Heute wird die öffentlich- rechtliche TV-Beichte genauso gut auch von den Privaten abgenommen. Gerd Michalek

Gerd Görzinger (Hrsg.): „Das Single – Gesellschaftliche Folgen eines Trends“. Leske + Budrich, Opladen 1994, 168 Seiten, 24,80 DM