Begegne den Schwächlichen

Peter Jackson, erster Regisseur des „Kiwi-Gore“, des Splatter-Films aus Neuseeland, präsentiert in „Heavenly Creatures“ zwei wahre Teenangels, die sich 1952 an der Christchurch Girl Highschool kennengelernt hatten  ■ Von Mariam Niroumand

Als er letztes Jahr in Venedig auf der Terrasse des Hotel des Baines zu Interviews empfing, wirkte Peter Jackson wie ein ans Licht gezerrter Computer-Nerd. Einer von diesen Typen, die man immer anrufen kann, wenn die Festplatte abgestürzt ist, aber niemals, niemals, wenn man ausgehen und eine Bloody Mary trinken will.

Es scheint, als sei Jackson direkt aus der ödipalen Zwangsjacke in die Haut des Couch Potato geschlüpft, unter sorgsamer Umgehung der Geschlechtsreife, von der er aus Funk, Fernsehen und Computerspiel weiß, daß man nur Ärger mit ihr hat. Wie Quentin Tarantino beweist er aber, daß man aus diesen Quellen verdammt genau bescheid wissen kann. Die beiden könnte man sich in einem komplett aus Filmtiteln bestehenden Streitgespräch vorstellen, in dem der eine nur „The Wild Bunch“ sagen und der andere „Na gut, aber was ist mit ,The Killing‘?“ entgegnen würde. Daß Fans wie diese beiden plötzlich in den Festivalzirkeln von Cannes und Venedig so heiß gehandelt werden, wäre wohl kaum möglich, wenn die „Autoren“ nicht so enorm abgewirtschaftet hätten.

1962 geboren, schaut er einem unter dem Schutz des Babyspecks aus zwei Knopfaugen entgegen, die um beides gleichzeitig zu bitten scheinen: Hol mich hier raus, und faß mich nicht an. Aufs Haar gleicht er Robert, dem Igel aus seinem zweiten Film „Meet the Feebles“ (1990), einer ziemlich fantastischen Fernsehshow der Tiere, einer Art düsenbetriebener Animal Farm für die Zeiten der Soaps, mit Kokain-Ratten, Schmeißfliegen als Journalisten, geduldigen, weisen Schlangen und nur zwei Überlebenden: eben Robert und seinem Kuscheltier Lucille, die trotz Verrats und Intrigantentums zueinander gefunden hatten. Robert konnte kein „R“ sprechen: „Hallo, I'm Wobert. Weally pleased to meet you.“

Irgendeinen mehr oder weniger gewichtigen Makel haben alle seine Figuren. Der zentrale Charakter von „Bad Taste“ – Jacksons erstem Film, der 1988 in Cannes gezeigt wurde – kann das aus dem Hinterkopf herausblubbernde Hirn nur mit einem schmuddeligen Gürtel zusammenhalten; bei jeder Gelegenheit will es ins Freie. Die Aliens, die hier ein neuseeländisches Dorf okkupieren, lassen irgendwann jede Prätention eines menschlichen Äußeren fallen und tragen die leprösen Riesenschädel, die ihrer Natur entsprechen (nachdem sie vorher alle den Einheitslook von Stonewashed-Jeans des guten, rasenmähenden Nachbarn trugen).

Aber auch in den splatterigsten Momenten des Lebens sind große Gefühle im Spiel. „Braindead“ (1991), die Splatterkomödie, von der viele sagten, sie beende alle Splatterfilme, entzündet sich, weil ein Muttersöhnchen von einem Stubenhocker in Liebe gefallen ist. Mutter, von einer virustragenden Meerkatze gebissen, entwickelt daraufhin übelriechende Pestbeulen, deren Inhalt in anderer Leute Suppe splasht, die daraufhin auch zu um sich beißenden Zombies mutieren. So dick kann Babyspeck sein: In Jacksons Filmen penetriert nichts unterhalb von Super-Bohrern und Kettensägen.

Irgendwann hat sich aber dann Fran zu ihm gesellt, Francis Walsh, Emma-Peel-Fan, Bassistin und Skript-Autorin für den Fernsehfilm „Worzel Gummidge Down Under“. Sie muß old Couch Potato von den Chips weg in die Welt der Frauen gelockt haben.

„Heavenly Creatures“ ist nämlich etwas geworden, was man vielleicht bestenfalls von Jane Campion erwartet hätte. Gleich zwei Angels sitzen an dieser Tafel, richtige Teenangels aus den 50er Jahren, deren Geschichte sich zu einer amour fou zusammenknäult. Daß solcherlei Beziehungsgeflechte auf einen katastrophischen Fluchtpunkt zulaufen müssen, illustriert Jackson gleich am Anfang mit ein paar stakkatohaften Schwarzweiß- Aufnahmen aus der Handkamera. Irgendwo sind ein paar Schläge niedergegangen, irgendwann rasen die beiden Mädchen durchs Unterholz, schreiend, blutüberströmt. Mit der Farbe tritt der Film in den Flashback, wie alles anfing, und in den Rosengarten, den die beiden sich versprochen und auch durchaus voneinander erhalten haben. Elegant hat sich Jackson mit den Pseudo-Archivaufnahmen der Chronistenpflicht entledigt und kann nun frohlockend eintreten in das Zwischenreich, in dem die beiden Teenangels zu Hause waren. „Wir haben uns große Mühe gegeben, keine Hinweise darauf durchsickern zu lassen, wo Pauline Parker und Juliet Hulme heute leben.“ – Von wegen: natürlich ist die inzwischen in England lebende Juliet längst als die Krimiautorin Anne Perry enttarnt.

Alles ist so rosa, gülden und blumenbesteckt wie möglich und so krisp-klar wie nötig. Pauline Parker ist ein heftig errötendes Ding in Schuluniform, Tochter eines fischigen Fischgroßhändlers und einer Mutter namens Honora. Man sieht ihr den Irrwitz der ersten Menstruation ebenso an wie den Inhalt ihres Tagebuchs. Alles steht auf Messers Schneide; jeder neue Pickel kann das Ende sein, ein Blick von Mario Lanza, dem Operettenstar der Operettenstars, könnte töten.

In diese brenzlige Situation platzt Juliet, ein Golden Girl, Tuberkel-infiziert, deren Globetrotter-Akademiker-Eltern ihr in Neuseeland bessere Luft verschaffen wollen. Juliet leuchtet, versprüht weltgewandten Esprit und eine gewisse jungmädchenhafte Schnippischkeit gegenüber den Provinzlehrern, die die Stirn haben, ihr noch etwas beibringen zu wollen. Sie müssen aufeinander fliegen, schon weil auch Pauline kränkelt: Mit drei Jahren bekam sie eine Knochenkrankheit, die fraß und fraß, sie sportunfähig machte und später hinken ließ. Zart, aber nachdrücklich läßt der Film diese Malaisen als edle Größe der Romantikerinnen erscheinen, die die beiden ganz eindeutig sind. Halluzinationengeprüft, fieberwahnerfahren, zwischen den Laken im Nirwana versinkend.

Innerhalb weniger Wochen haben sie sich unauflöslich ineinander verknotet, heiße Bäder, Bäder im See, Händchenhalten, Tanzen über Wald und Flur und Flora und Fauna, abends opulente Kerzenorgien. Hitzig zimmern sie sich ein Traumreich, sie nennen es, etwas blöde, die „vierte Welt“, und Jackson hat sie – sich wohl auf sein Splatter-Handwerk besinnend – 1:1 in animierte Ton-Figuren übersetzt, die Verlebendigung einer Strandburg mit Prinzen, Prinzessinnen, Gralshütern und Turnieren. Ihre exzellenten Kenntnisse aller pikanten Interna der britischen Königsfamilie nutzen sie zur Konstruktion einer hochroyalen Affäre zwischen Deborah (Juliet) und Charles (Pauline), die es ihnen ganz offensichtlich ermöglicht, den heranrollenden Lesbianismus in Schach zu halten. Schließlich ist doch Charles ein Männername, oder?

„Lesbisch? Nö“, meinte Jackson in Venedig völlig überzeugt. „Die haben sich einfach sehr gemocht.“ Aus einer Vorstellung von „Der dritte Mann“ kommend, halluzinieren sie, in einer Ecke stünde Orson Welles und sei ihnen auf den Fersen. Zum Beweis, daß „da nichts ist“, läßt er Pauline mit John unter eine Decke schlüpfen, einem der Untermieter ihrer Eltern. Weil sie ihn aber fallenläßt, als Juliet von einem Klinikaufenthalt zurückkommt, schickt ihre Mutter sie zu dem typischen Fünfziger-Jahre- Doktor, der endlich das schreckliche „H-Wort“ in den Mund nimmt, „Homosexualität“, donnert es.

Die Sache trägt nicht unbedingt dazu bei, Pauline und ihre Mutter einander näherzubringen. Als sie getrennt werden sollen, als Juliet mit ihrer Mutter nach Südafrika soll und Pauline nicht mitnehmen darf, da wird der Preis fällig, da will die Seele sägen. „Daß du mich verlassen hast“, singt eine australische Truppe am Ende von „Bad Taste“, „hat einen schlechten Nachgeschmack hinterlassen.“

„Heavenly Creatures“. Regie: Peter Jackson, Kamera: Grant Major. Mit Melanie Lynskey, Kate Winslet, u.a., Neuseeland, 1994

„In heaven everything is fine

you've got your good things and I got mine.“

David Lynch, „Eraserhead“