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: Zur Kultur des Scheiterns

Dietrich Dörner ist Leiter der Projektgruppe „Kognitive Anthropologie“ in der Berliner Max- Planck-Gesellschaft und veröffentlichte unlängst eine Untersuchung des „strategischen Denkens in komplexen Situationen“ („Die Logik des Mißlingens“). Zu seinen Fallbeispielen zählt auch das Reaktorunglück von Tschernobyl, das für Dörner „zu hundert Prozent auf psychologische Faktoren zurückzuführen“ ist. Dazu studierte er die alles andere als unzureichende Technologie des Atomkraftwerks, ferner das – wie man leider sagen muß – allzu gut ausgebildete Bedienungspersonal sowie den Ablauf der Katastrophe. „Was finden wir hier an Psychologie? Wir finden die Tendenz zur Überdosierung von Maßnahmen unter Zeitdruck, die Unfähigkeit zum nichtlinearen Denken in Kausalnetzen statt in Kausalketten, also die Unfähigkeit, Neben- und Fernwirkungen des eigenen Verhaltens richtig in Rechnung zu stellen, und die Unterschätzung exponentieller Abläufe ... All das sind ,kognitive‘ Fehler, Fehler in der Erkenntnistätigkeit.“

Ein solcher wiederholt sich hierzulande noch einmal, wenn russische AKWs per se als „marode“ und ihre Sicherheitsvorschriften stets als „nicht ausreichend“ bezeichnet werden – und zwar von deutschen AKW-Experten bzw. -Verkäufern. Ähnliches gilt auch für die Einschätzung der „Flugsicherheit“ von Aeroflot-Maschinen und ihrem Personal – durch vor allem die deutsche Lufthansa, die alles daransetzt, hierbei aus Görings Ministeriumsfehlern lernend, den sowjetischen Luftraum diesmal vor den Bodentruppen, die mittlerweile bekanntlich scheu wie ein Reh geworden sind, zu sichern.

Der kognitive Fehler liegt hierbei in der dummdeutschen Überheblichkeit, von der schon die DDRler nicht ganz frei waren – trotz oder wegen der sowjetischen Hegemonie und des Spruchs „Von der Sowjetunion lernen ...“ Er zeigt sich, wenn zum Beispiel Reemtsma zwei Millionen Mark beim „Umbau“ einer ukrainischen Tabakfabrik in den Sand setzt oder wenn amerikanische und westdeutsche Unternehmensberater (in Konkurrenz) ein russisches Kombinat nach dem anderen in den Ruin privatisieren.

Die kommenden Auseinandersetzungen sind, so wird gesagt, keine territorialen Kämpfe mehr, sondern Wirtschafts- und Kulturkriege. Davon ist die Linke im Westen bereits eingenommen, die erst einmal leidenschaftlich über die DDR herfällt. Vorneweg natürlich die ganzen feigemutigen Umweltschützer, und dann all die „von Gauck brainwashten“, wie Michael Sontheimer einmal meinte. Besonders arg treiben es wendehälsige Polemiker, die überhaupt nicht mehr hinschauen.

Bestes Beispiel immer wieder Hendryk M. Broder, dem zum Beispiel deutsche, insonderheit ostdeutsche Arbeitslose per se als ausländerfeindlich gelten; eine Erkenntnis, die er dann auch noch anonymen „Sozialarbeitern“ in die Schuhe schiebt. Tatsächlich waren es Frankfurter Soziologen, die herausfanden, daß gerade nicht Arbeitslose, sondern deutsche Facharbeiter zum Rassismus neigen. Die ebenso traditionelle wie typische SPD-Klientel also, die im übrigen, wie eine Medienuntersuchung jüngst ergab, auch das Hauptkontingent der Bild-Leser stellt, während die Mehrzahl der Spiegel-Leser, auch dies eine Überraschung, CDU- Wähler sind.

Über eine ostdeutsche Kleinstadt „mit einem unaussprechlichen Namen“ (er meint Bischofferode) schreibt Broder, daß jemand den Arbeitern dort hätte sagen müssen, daß es für „eine Arbeit, bei der Produkte hergestellt werden, die niemand kaufen will, kein Naturrecht gibt“. Erstens haben das fast alle (Politiker und Treuhand-Manager) gesagt, und zweitens war es falsch, gar gelogen, denn gerade das Bischofferöder Kali war und ist ein Produkt, das alle ausländischen Kunden, Düngemittelhersteller, auch nach der Wende kaufen wollten, allein BASF, das seine Düngemittel mit anderem Kali herstellt, hatte ein Interesse an der Stillegung, die es dann auch durchsetzte.

Was für ein Interesse hat Broder, solch einen Blödsinn in taz und Ölbaum-Verlag zu veröffentlichen? Man könnte in seinem Fall mit Dietrich Dörner von „Übergeneralisierung“, eher noch von „hypothesengerechter Informationsauswahl“ sprechen. Ich sehe in Broders „Schreibe“ jedoch eher metaphysisches Tittengrapschen am Werk. Ähnlich wie bei den von der taz kommenden Spiegel-Redakteuren Malzahn und Bornhöft, die Michael Sontheimer schlicht als „Gysi-Jäger“ bezeichnet. Helmut Höge