Körpergeruch im Vakuum konserviert

Fünf Jahre nach der Erstürmung der Stasi-Zentrale wurde jetzt erstmalig das Archiv zur Besichtigung freigegeben / Die Stasi sammelte alles, von Geruchskonserven bis hin zu Pornofilmen  ■ Von Tanja Hamilton

„Am Anfang standen wir hier wie der Ochse vorm Berg. Wir brauchten eine Weile, bis wir überhaupt durchgestiegen sind.“ Thomas Rogalla, Sprecher der Gauck- Behörde, steht inmitten der Berge von braunen Aktensäcken, die im sogenannten „Kupferkessel“ der ehemaligen Stasi-Zentrale in der Normannenstraße lagern.

Wände, Decken und Säulen des Raumes sind mit etwa 1,5 mal 2 Meter großen Kupferplatten verkleidet, „als Abwehr gegen elektronische Einflüsse von außen“, wie Rogalla erklärt. An der Decke hängen noch vereinzelt Kabel, an denen das MfS die Computer für die geplante Rechenzentrale hatte anschließen wollen. „Doch dazu ist es ja bekanntermaßen nicht mehr gekommen“, schmunzelt er.

Den fünften Jahrestag der Erstürmung der Stasi-Zentrale nahm die Gauck-Behörde gestern als Anlaß, das Archiv erstmals auch für „Normalbürger“ zugänglich zu machen. Der Andrang war groß. Zehn Sekunden nach der Bekanntgabe im Fernsehen hatte sich laut Rogalla der erste Interessent gemeldet, nach 30 Sekunden war das Telefonnetz zusammengebrochen. Deswegen sollen die Führungen künftig regelmäßig angeboten werden.

Ungläubig starrten die rund sechzig Besucher auf die Reihen von Einmachgläsern, in denen das MfS auf gelben Stofflappen den Körpergeruch von politisch Mißliebigen vakkuumverpackt konserviert hatte. Aber nicht nur Erkennungsdienstliches beschäftigte die Stasi: Videokassetten mit Titeln wie „Heiße Zeiten“ und „Gaudi in der Lederhose“ wurden ebenfalls archiviert. „Was man damit wollte, konnten wir allerdings bis jetzt nicht klären“, lacht Rogalla.

„Jetzt, wo ich diese Berge von Material sehe, kann ich schon eher verstehen, weshalb eine Akteneinsicht so lange dauert“, sagt Michael Otto. Der 41jährige, der schon mit 15 Jahren das erste Mal versuchte, aus der DDR abzuhauen, kam in die Normannenstraße, um mit eigenen Augen zu sehen, wie das MfS funktionierte.

Nach seinem zweiten Versuch, mit 18 Jahren, über die ungarische Grenze zu flüchten, mußte er für 14 Monate in den Knast. Dann kam er im Zuge einer Amnestie nach West-Berlin. Bis jetzt hat man nur seine Strafakte gefunden. „Aber ich bin sicher, daß die Stasi noch mehr Informationen über mich hatte, und möchte wissen, wer da alles beteiligt war.“

Allein im Zentralarchiv in Berlin befinden sich 17.000 Säcke mit kleinsten Fitzeln und Schnipseln von Akten, Tonbändern und Videoaufnahmen, die Mitarbeiter des MfS noch bis Februar 1990 in einer großen Vernichtungsaktion zerstört hatten. „So lange, bis die Reißwölfe den Geist aufgaben, dann wurde mit der Hand weitergerissen“, so Rogalla. Rund 6.000 der Säcke enthalten Material, das nicht mehr rekonstruierbar ist. Der Rest wird von Mitarbeitern der Gauck-Behörde in akribischer Arbeit wieder zusammengepuzzelt.

„Wir haben uns damals ganz schön über den Tisch ziehen lassen“, sagt Hannelore Köhler vom „Bürgerkomitee 15. Januar“, das gestern vor fünf Jahren die MfS- Zentrale in Lichtenberg gestürmt hatte. „Wir hatten keine Ahnung über die Strukturen der Stasi und waren auf die Auskünfte der Offiziere angewiesen. Es kam vor, daß wir Reißwölfe und Kamine bewachten, während in einem anderen Gebäudetrakt Akten abtransportiert wurden.“

Bis heute kursieren auch weiter Gerüchte in den Medien, daß der Bundesnachrichtendienst bei der Erstürmung der Zentrale beteiligt gewesen sei. Spätestens bis nächstes Jahr wollen die Mitglieder des Komitees eine Dokumentation der wirklichen Ereignisse des 15. Januar 1990 und der etwaigen Verstrickung anderer Geheimdienste zusammenstellen. „Dazu ist es aber notwendig, daß das Stasi-Unterlagen-Gesetz in der jetzigen Form erhalten bleibt.“ Eine Amnestie, so sagt Hannelore Köhler, wäre das Schlimmste, was passieren könnte. Dann wäre auch nicht mehr aufzuklären, wie dieser Apparat jahrzehntelang ein ganzes Volk unterdrücken konnte.