■ Normalzeit
: 68er und 89er Wendehälse

Was ist eigentlich bei den ganzen westdeutschen Reformuniversitäten, die die Studentenbewegung absaugten, in Lehre und Forschung rausgekommen? So gut wie nichts. Auch aus diesem Grund drängten große Teile des dortigen Lehrkörpers nach der Wende an die „neuen“ Ost-Universitäten.

An der Humboldt-Universität eroberten die Kriegsgewinnler ganze Institute. Trotzdem verlief die Konfliktlinie während des nun fast zum Abschluß kommenden „Umbaus“ der Ost-Unis eher zwischen links und rechts, der Ost-West-Gap spielte selten eine Rolle. Höchstens wenn Studenten ihre Westdozenten schlicht und einfach mieden. Das war beim linken Glasmeier in Weimar ebenso der Fall wie beim konservativen Biedenkopf in Leipzig.

Nicht selten waren Westler federführend bei der Abwicklung des Ost-Lehrkörpers. In Berlin die Senatorin Riedmüller, in Halle der sich ebenfalls als „68er“ bezeichnende Prorektor Hartwich aus Hamburg. Dort geschah es auch, daß die Personalkommission exakt so viele Hochschulangehörige rausgauckte, wie die vom Land vorgegebene „Sollzahl“ an „Personalabbau“ verlangte. In Leipzig wurde die Wirtschaftswissenschaft komplett mit Westlern wiederaufgefüllt, bei den Juristen blieb ein Ostler übrig. In den als links geltenden Instituten für Soziologie und Politik sieht es nicht anders aus.

Doch die Mehrzahl der Studenten und Assistenten ist eher froh, daß sich dort nicht – wie in Dresden – die „Konservativen“ in den Berufungen durchgesetzt haben. Der Leipziger Philosoph Peer Pasternak, der über die „demokratische Qualität des ostdeutschen Wissenschaftsumbaus“ promoviert, meint, daß die wahren Verlierer jene wenigen DDR-Hochschullehrer sind, die „kritische Positionen“ vertraten. „Das waren in Halle zwei Leute, in Leipzig vier, in Dresden einer und in Berlin vielleicht ein paar mehr.“ Hier wären etwa Rainer Land, Michael Brie und Thomas Kuczynski zu erwähnen. Die nunmehrige Arbeitslosigkeit des letzteren hält er für eine „besonders große Rache-Sauerei“. Nur von den „Unauffälligen und Wendehälsen“ hätten welche überlebt. Die listigen Bedingungen des Akademischen Senats in Leipzig für die Rektoren-Neuwahl, mit der die West-Profs an der Uni quasi ausgeschlossen werden sollten, hält er deswegen für mies. „Unter den Westlern hätte man bessere Leute gefunden.“

Das „Betriebsklima“ ist an allen ostdeutschen Universitäten schlecht. Selbst ein C4-Ostprofessor, der nichts aushandeln durfte, sondern gnädig wiedereingestellt wurde, ist gegenüber seinen Westkollegen noch unterprivilegiert, erst recht der „Mittelbau“ – mit Ost-Gehältern und halben beziehungsweise befristeten Stellen. Laut Pasternak würden die Westler, insbesondere die 68er, im Osten „zur Anpassung neigen“, sogar den akademischen Firlefanz, wie Magnifizenz- und Spektabilität-Anredeformen, bejahen und bei Drittmitteln alle Bande frommer Scheu verlieren. In der „Transformationsforschung“ zum Beispiel lieferten sie „ohne Hemmungen“ konkrete Handlungsanleitungen für die Politik.

Pasternak findet solche 68er Verkommenheiten „überraschend“. Ich auch, wohl wissend, daß die meisten, die sich heute 68er nennen (lassen), gerade solche „Aktivisten“ waren, die den Rätekommunismus des SDS eher bekämpften als beförderten. Insofern haben jetzt bloß 68er und 89er Wendehälse zusammengefunden (bei den Leipziger Philosophen veranstalten sie schon gemeinsame „Brigadefahrten“). Außerdem sind die wenigen „kritischen Positionen“ sowieso besser außerhalb der Uni als im Staatsdienst aufgehoben. Da ist Pasternak als DDRler jedoch anderer Meinung: „Auch dafür muß die Gesellschaft aufkommen!“ Die Existenz selbständiger Historiker und Sozialwissenschaftler, die nicht in einer „philosophischen Praxis“ oder ähnlichem Unternehmensberatungsquatsch enden, war ihm jedoch neu. Es fiel ihm auch schwer, sich ihre „Forschung“ oder „Kunst“ vorzustellen. Helmut Höge