...passiert, „daß Leute gehauen werden“

Die acht Jugendlichen, die im Oktober 1994 über mehrere Stunden Passagiere der S-Bahn Linie 8 tyrannisiert haben sollen, wollen keine Rechtsradikalen sein / „Mehr so normal“ und trinkfest  ■ Von Jeannette Goddar

„Gut drauf“ sei er gewesen an dem Abend – „gut angegangen“ eben, nach fünf kleinen und sechs großen Bier und diversen Apfelkorn. „Eigentlich macht mich Alkohol fröhlich“, erklärt er der Richterin. Nur daß ein Türsteher ihn und seine 20 bis 30 Kumpane wegen ihres Outfits – mehrere trugen Springerstiefel und Bomberjacken – nicht in die Disco lassen wollte, habe ihn sauer gemacht. „Irgendwann ist mir der Kragen geplatzt.“ Auf dem S-Bahnhof Storkower Straße ging der 17jährige Maurerlehrling auf einen 24jährigen los, weil er, so erklärte er der Polizei, „aussah wie ein Fidschi“. Als dann auch noch eine junge Frau ihn schnippisch aufforderte, mit seinem Kampfkunstgehabe lieber ins Fitneß-Studio zu gehen, drehte Ivo durch: Mit einem Faustschlag ins Gesicht schlug er die 24jährige krankenhausreif.

In der Logik von Ivo kann so was wohl vorkommen. „Bei uns ist nichts los“, erklärte er der Polizei, als er wenig später festgenommen wurde. „Der Zeitvertreib sieht schon mal so aus, daß Leute gehauen werden.“ Erst auf die suggestive Nachfrage seiner Verteidigerin: „Du, wie ist denn das, bereust du das denn?“, nuschelt er heute etwas von Reue und Einsicht.

Gemeinsam mit sieben Kumpanen steht Ivo seit vergangener Woche vor dem Landgericht. Den Angeklagten werden insgesamt dreizehn Fälle von gefährlicher Körperverletzung, Raub, Sachbeschädigung und der Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen zur Last gelegt. Die Anklageschrift liest sich wie ein Groschenroman über Skinheads: In einer Gruppe von 20 bis 30 Leuten sollen die acht in der Nacht zum 8. Oktober in der S-Bahn Linie 8 zwischen Buch und Lichtenberg über mehrere Stunden diverse Passagiere verprügelt und beraubt haben. Einem jungen Berliner wurde mit Springerstiefeln ins Gesicht getreten, weil er eine „Zecke“ sei. Sein Jochbein wurde gebrochen. Zeugen wurden verprügelt, wenn sie ankündigten, Anzeige zu erstatten. Verängstigte Mitreisende mußten Jacken, Uhren und Schuhe abgeben. Ein anderer, vermeintlich „Linker“ büßte mit seinem Fahrrad. Es wurde aus der S-Bahn geworfen. Ein Dunkelhäutiger soll diesem Schicksal nur knapp entgangen seien, weil sich in dem Abteil die Türen nicht öffnen ließen. Mit den Worten „Neger, du lebst gefährlich in Deutschland“ wurde er bei Blankenburg überfallen. Er erlitt Prellungen und Platzwunden und verlor einen Zahn.

Auf der Anklagebank ist von der überschüssigen Energie der Jugendlichen zwischen 15 und 23 Jahren nicht viel zu spüren. Mit verschränkten Armen verfolgen sie weite Teile der Verhandlung mit teilnahmslosen Gesichtern. Ohnehin scheinen ganze Passagen an ihnen vorbeizugehen. Werden sie etwas gefragt, fragen sie zurück, weil sie die Frage nicht verstanden haben, sie antworten in halben Sätzen, die einen mehr als begrenzten Wortschatz offenbaren, sie brechen plötzlich ab, zucken mit den Achseln, sie starren auf den Boden. Wer ein Bild verschlagener organisierter Rechtsradikaler im Kopf hat, wird enttäuscht: Die, die hier sitzen, haben vermutlich tatsächlich nicht mehr im Kopf als ihr nächstes Saufgelage oder die nächste Party. Immer wieder werden sie nach ihrer politischen Einstellung gefragt. Sie schütteln den Kopf, sobald die Vorsilbe „rechts“ fällt, gucken fragend, als wüßten sie gar nicht so recht, was das ist, und fast möchte man ihnen glauben, selbst wenn ihre Taten dagegen sprechen. „Mehr so normal“ sei er, nuschelt Thomas B., der immer noch abstreitet, mit den Körperverletzungen etwas zu tun zu haben, aber von mehreren Zeugen identifiziert wurde. Er kann sich nicht einmal sein Grinsen verkneifen, als er erklärt, in der fraglichen Nacht keine Handgreiflichkeiten gesehen zu haben.

Leben kommt in ihre Gesichter, wenn es ums Trinken geht. 15 halbe Liter Bier, 'ne Viertel Flasche Apfelkorn und diverse doppelte Whisky hätte er wohl intus gehabt, prahlt einer. Die Augen des Sachverständigen weiten sich. Die anderen grinsen. Für sie ist das Alltag. „Wir ziehen am Wochenende halt so rum“, sagt Thomas B., dem unter anderem der Jochbeinbruch zur Last gelegt wird. An dem Tag vor der S-Bahn-Tour sei es besonders heftig gewesen. „Ich bin morgens mit 'nem tierischen Brand wachgeworden“, erzählt sein Bruder Eric. „Dann ham wir erst mal 'ne Flasche Whisky gekillt. Bis abends kam noch 'ne Kiste Bier dazu.“ Schon die ganze Woche vorher hätte er jede Nacht gesoffen, weil seine Freundin Schluß gemacht hätte. Jetzt ist er nicht nur solo, sondern auch noch arbeitslos: Die Bundeswehr wollte den randalierenden Zeitsoldaten nach seiner Verhaftung nicht weiterbeschäftigen.

Zu ihrer Verteidigung haben die acht bisher nicht viel mitzuteilen gehabt. Mal nuschelt einer, „ihm habe die Jacke halt gefallen“, die er einem anderen abgenommen hatte, der andere „wollte mal gucken, ob das ein Linker ist“, als er einem 14jährigen die Baseballkappe vom Kopf zog. Auf den Vorhalt der Richterin: „Sie sollen gesagt haben, da sieht einer aus wie ein Fidschi“, erwidert einer, „es kann doch sein, daß da einer ausgesehen hat wie ein Fidschi“. Meistens zucken sie aber nur mit den Schultern. Der Prozeß wird morgen fortgesetzt.