Wenn das Guckglas runterfällt

■ Frisch verlegt vom Frauenkulturhaus: eine Textsammlung aus Kulturscherben

„ÜberSchriften.“ Orange leuchtet der Titel in die Welt, so wie der Untertitel: „Aus Bildern und Büchern“. Wer das Bremer Frauenkulturhaus „Thealit“ kennt, fühlt sich erinnert – das ist gewollt. Dort wurde das Buch „ÜberSchriften“ als Dokumentation der vergangenen zwei Jahre Arbeit kürzlich herausgegeben. Die Schreibweise des Titels entspricht ganz den folgenden 450 Seiten. Die handeln von Kunst, da darf's außendrauf ruhig ein wenig gekünstelt zugehen.

Drinnen folgen die Autorinnen einer anderen Linie: Sie betrachten die Regeln dieser Welt und versuchen sie zu brechen. Dahinter soll Neuland liegen – vor allem im Kopf, was beschwingende Assoziation oder beklemmende Verwirrung hervorrufen kann.

Aber die Suche nach neuem Terrain gestaltet sich für die Leserin schwierig. Sie muß im Nachhinein vollziehen, wovon in rund 40 Veranstaltungen die Rede war. Ebensoviele Texte darüber machen das Buch aus, das die Gedankengebäude zum Wanken bringen soll – und ihre Fundamente gleich mit. Ob das Buchstaben sind, Worte oder ihre Fetzen – „dem Sockel, dem ewigen Diener des Zeigens“, geht es an die Substanz, „die er doch selbst ist“. Wer Spaß an solchen Betrachtungen hat, legt die 58 Mark, die das Buch noch bis Monatsende kostet, gut an. Diese „Künstlichen Führungen“ bieten jede Menge Gelegenheiten, mit den Gedanken anzuecken.

Weitere Gemeinsamkeiten sind eher schon Gemeinheiten: Kaum wird etwas auf den Sockel der Betrachtung gehoben, schon wird es gestürzt. Nicht immer ist verständlich warum. Aber bei Führungen gehen ja meistens andere voran. Hier: in den Dschungel der Bilder- und Buchstabenwelt. Text nach Text entstehen im Kopf neue Sichtweisen als würde das Kaleidoskop geschüttelt. Dessen Bilder basieren schließlich auch auf Reflektion: Das Sechseck, das wir sehen, ist eine Spiegelung. Es existiert und ist doch eine Täuschung. Von derartigen Phänomenen handelt das Buch. Und davon, daß selbst wenn das Guckglas herunterfällt und die bunten Scherben zerstreut auf dem Boden liegen, sie immer noch ihren Reiz haben. Aber einen anderen.

In Buchform gefaßt, sind solche Gedankengänge nicht immer leichte Kost. Wer gerade erst verstanden hat, was „Behälter-Skulpturen“ sind (Kisten mit etwas darin Verborgenem), wird gleich darauf mit komplizierteren Gedanken zum Umfeld solcher Kunst konfrontiert. Und mit Fragen zum Verhältnis von Sichtbarem und Unsichtbarem. Es geht um „Konzept Art“ – und die will „Formalien in den Rang von Inhalten erheben“.

Erwähnenswert ist das Buch aber nicht nur, weil sie einen kapriziösen Umgang mit Kunst, mit Ausstellungen, Performances und Lichtbildern dokumentiert. Da werden nicht nur Videos auf ihre Konstruktion und Wirkung untersucht. Im Interview mit einer Thealit-Mitarbeiterin erfahren LeserInnen auch, daß die Bremerinnen mit der Veranstaltungsreihe „Künstliche Führungen“ nur wenig anfangen konnten. Dadurch bekommt das Buch eine historische Dimension: Das Veranstaltungskonzept wird als ein Stück Bremischer Frauengeschichte reflektiert.

Eva Rhode

Erhältlich im Frauenkulturhaus Thealit, Im Krummen Arm 1 oder im Buchhandel