„Hier geht es um persönliche Diffamierung und den Vorwurf der Rechtsbeugung“

■ Der Vorsitzende des Lübecker Landgerichts begründet seine Strafanträge gegen Unions-Politiker wegen ihrer Angriffe auf die Richter des Haschisch-Urteils

Der Präsident des Landgerichtes Lübeck, Hans-Ernst Böttcher, hat Strafanträge gegen den Bundestagsabgeordneten Norbert Geiß und den Chef der Staatskanzlei in München, Erwin Huber, gestellt. Die Strafanträge stehen im Zusammenhang mit Äußerungen der Unionspolitiker zum Lübecker Haschisch-Urteil.

taz: Warum haben Sie die Strafanträge gestellt?

Böttcher: Beide Politiker im Oktober 1994 während der öffentlichen Debatte über das Urteil maßlose und ehrenrührige Angriffe gegen den Vorsitzenden Richter und die beiden Schöffen geführt. Da beide Politiker davon nicht abgerückt sind, habe ich als Dienstvorgesetzter die Pflicht, die Richter gegen ehrenrührige Angriffe in Schutz zu nehmen.

Also wehren Sie sich damit gegen Kritik an richterlichen Entscheidungen?

Nein, natürlich müssen sich Gerichte und Richter auch der öffentlichen Kritik stellen. Aber dafür gibt es Grenzen. Hier geht es um persönliche Diffamierung und den Vorwurf der Rechtsbeugung — das Schlimmste, was man einem Richter vorwerfen kann. Herr Geis hatte unter anderem behauptet: Linke Richter in Lübeck mißbrauchen ihre richterliche Unabhängigkeit zu einem drogenpolitischen Amoklauf. Herr Huber verstieg sich dazu, von irren Richtern zu sprechen. Damit ist die Grenze eindeutig überschritten.

Wo liegt die Grenze, was ist noch erlaubte Richterschelte?

Man kann sich über alles streiten, aber hier ist mehr geschehen. Hier haben Politiker, denen das Ergebnis nicht paßt, Menschen persönlich herabgesetzt, anstatt sich mit der Sache auseinander zusetzen. Und dies gezielt, weil sie als Personen des öffentlichen Lebens über den Apparat der Medien verfügen. Während die Richter nichts anderes gemacht haben, als ihre Arbeit — einen Prozeß seriös geführt und eine wohlüberlegte Entscheidung getroffen.

Wie oft haben Sie schon Strafanträge aus Fürsorge gegenüber ihren Mitarbeitern gestellt?

Es kommt sehr sehr selten vor. Bis auf diese bisher in meinen vier Amtsjahren nur einen weiteren. Manchmal muß man klarstellen, daß es im Gericht friedlich zugehen muß.

Was versprechen Sie sich von den Strafanträgen gegen Geiß und Huber?

Wenn ich nicht davon überzeugt wäre, es kommt zur Anklage und eventuell auch zu einer Verurteilung, hätte ich die Anträge nicht gestellt. Es war eine wohlerwogene Entscheidung, bei der ich vorher die Meinungsfreiheit mit ihrer großen Bedeutung sozusagen in die andere Waagschale gelegt habe. Ich verspreche mir davon, für Politiker eine kleine Läuterung herbeizuführen, die Rückkehr zu publizistischen Sitten. Wenn schon mit Säbeln gekämpft wird, dann jedenfalls nach Regeln. Interview: Kersten Kampe