„Es geht um Sensationsberichte“

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger ist gegen Fernsehübertragung aus Gerichten  ■ Von Julia Albrecht

Berlin (taz) – Kein Anstehen mehr bei großen Prozessen, um einen Platz zu ergattern. Statt dessen ein Druck auf die Fernbedienung, um den Angeklagten, den modernen Held, vom Fernsehsessel aus zu beurteilen – wie in Amerika eben. Das zumindest wollen die großen Privatsender n-tv, Sat 1, RTL 2 und Pro 7 und fordern Übertragungserlaubnis direkt aus den Gerichtssälen. „Es macht doch Sinn“, so der Geschäftsführer von n-tv, Karl-Ulrich Kuhlo, „daß Rechtsprechung in der Öffentlichkeit erfolgt. Der Ausschluß von Kameras geht auf jene Zeit zurück, in der das Fernsehen noch nicht erfunden war.“ Da irrt der Geschäftsführer. Zwar stammt das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) aus dem Jahr 1871. Der Paragraph 169 allerdings, wonach Ton- und Bildaufzeichnungen in Gerichtssälen verboten sind, ist eine Einfügung aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Wie dem auch sei. Derzeit läßt Kuhlo zu der Frage ein Gutachten erstellen, um alsdann bei der Bundesjustizministerin vorstellig zu werden.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) indes, wird sich für dieses Anliegen nicht zur Verfügung stellen. „Wir sollten uns nichts vormachen: In der aktuellen Diskussion um Fernsehübertragungen aus Gerichtssälen geht es nicht um möglichst authentische, objektive Informationen, sondern um Sensationsberichte über spektakuläre Fälle, die mit dem Rechtsalltag der Bürger nicht das geringste zu tun haben“, erklärte die Justizministerin gegenüber der taz.

Bei der Beurteilung der Frage, ob Kameras künftig Einlaß in die Gerichtssäle erhalten sollen, gehe es im wesentlichen um die Abwägung zwischen dem Grundsatz des Persönlichkeitsschutzes der Verfahrensbeteiligten, insbesondere dem Angeklagten und dem Öffentlichkeitsprinzip. Übrigens eine Errungenschaft der liberalen Revolution von 1848, wie die Liberale Leutheusser-Schnarrenberger anmerkt. Sie ist der Auffassung, daß das Öffentlichkeitsprinzip dadurch ausreichend gewahrt sei, daß sich „jeder Bürger durch persönliche Teilnahme an der Gerichtsverhandlung davon überzeugen kann, daß die Gerichte nach Recht und Gesetz handeln“. Daraus folge aber nicht, daß sich eine beliebige Vielzahl von Personen via Kabelanschluß „zuschalten“ können müsse. Hier überwiege der Persönlichkeitsschutz der Beteiligten und das Gebot der Wahrheitsfindung des Gerichts. Dennoch ließe sich geltend machen, daß dem Persönlichkeitsschutz dadurch Rechnung getragen werden könnte, daß bei brisanten Verfahrensabschnitten die Öffentlichkeit – und damit auch die Kameras – ausgeschlossen werden könnten. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: „Ich denke gar nicht daran, jetzt wieder eine partielle ,Geheimjustiz‘ einzuführen, nur damit die Nachteile einer möglichen Sensationsberichtserstattung ausgeglichen werden.“

Daß Sensationsgier ein wesentliches Moment der Forderung ist, läßt sich kaum von der Hand weisen.

Tatsächlich jedoch sind Gerichtsverhandlungen, auch die großen, auch jene, in denen es um Mord und Totschlag geht, ausgesprochen langwierig. Spannend wird es für den unbeteiligten Zuschauer nur selten. Etwa dann, wenn der Angeklagte schildert, wie er die grausamen Taten begangen hat oder wenn ein glänzendes Plädoyer gehalten wird. So überzeugt eben auch das Argument nicht, wonach die Berichterstattung des Fernsehen authentischer wäre, als die der schreibenden Kollegen. Die Filterung funktioniert bei den elektronischen Medien nur anders, per Schnitt.