Schirinowski: Ins KZ mit Kowaljow

■ Pöbelei in Straßburg / Kowaljow: Aufnahme Rußlands in den Europarat vorerst verschieben

Straßburg (taz) – Gegen manche Zumutungen können sich internationale Gremien wie der Europarat nicht wehren. Die neueste Zumutung heißt Wladimir Schirinowski. Der rechtsradikale russische Nationalist rastete am Montag abend am Ende einer nichtöffentlichen Anhörung zu Tschetschenien aus. Die Dolmetscher hatten ihre Kabinen schon verlassen, als Schirinowski plötzlich von seinem Platz in der hintersten Reihe des Parlamentssaals aufsprang und den russischen Menschenrechtsbeauftragten Sergej Kowaljow beschimpfte. Mit hochrotem Kopf und eingerahmt von seinen zehn Leibwächtern brüllte er auf den Menschenrechtler ein, nannte ihn „Lügner“, „Verräter“ und „Ungeziefer“, dessen Platz im Konzentrationslager und nicht in Straßburg sei. Er deutete auch auf einzelne Abgeordnete und überschüttete sie mit Drohungen, die aber von den wenigsten verstanden wurden, weil Schirinowski auf russisch pöbelte. Schirinowski kam als Mitglied der 18köpfigen Delegation, die von der russischen Volksvertretung, der Duma, gesandt worden war. Rußland hat im Europarat seit einigen Jahren offiziellen Gaststatus ohne Stimmrecht. Damit genießt Schirinowski, der in der Bundesrepublik wegen seiner faschistischen Ansichten Einreiseverbot hat und auch in Frankreich wenig Chancen auf ein reguläres Visum hätte, in Straßburg dieselben Zugangsrechte wie die Abgeordneten der 33 Mitgliedsländer.

Die Niederländerin Elisabeth Baarveld-Schaman, die die Anhörung leitete, forderte die Saaldiener auf, Schirinowski aus dem Raum zu entfernen, was diesen aber trotz der Unterstützung durch einige Abgeordnete nicht gelang. Viele fürchten, daß sich der Europarat daran gewöhnen muß, solche Szenen auszuhalten. Gestern beispielsweise lieferte Schirinowski erneut eine mit Beleidigungen gespickte Rede.

Robert Andretter, Sprecher der deutschen Sozialdemokraten, sah die Sache eher gelassen: „Viel wichtiger war, was Kowaljow gesagt hat.“ Er hatte die Abgeordneten beschworen, Rußland trotz des Krieges in Tschetschenien nicht allein zu lassen. Moskau brauche derzeit Druck und Freundschaft.

Er unterstützte die von der Mehrheit getragene Meinung im Europarat, die ursprünglich für Mai vorgesehene Aufnahme Rußlands zu verschieben. Der Europarat müsse aber deutlich sagen, daß die Verhandlungen nur ausgesetzt seien, und zwar so lange, bis Moskau drei grundlegende Bedingungen erfüllt habe. Erstens müsse der Krieg beendet werden. Zweitens seien Mechanismen zu entwickeln und in der Verfassung der Russischen Föderation zu verankern, die einen friedlichen Weg der Konfliktlösungen nicht nur in Tschetschenien, sondern in der gesamten krisenanfälligen Kaukasusregion garantierten. Und drittens müsse Moskau die Kompetenzen von Präsident und Parlament klarer definieren. Nur so könne verhindert werden, daß Jelzin wie bei Tschetschenien die Grauzone zu einsamen Entschlüssen ausnützte, die im Widerspruch zu bestehenden Gesetzen stünden.

Auf mittlere Sicht jedoch, so Kowaljow, sei die Aufnahme Rußlands in den Europarat „für beide Seiten von zentraler Bedeutung“, weil sie die Zugehörigkeit zur europäischen Kultur und zu den demokratischen Werten Europas festschreibe. Es müsse verhindert werden, daß Rußland in den „Zickzackkurs“ zurückfalle, den das Land seit langem gegangen sei.

Alois Berger Kommentar Seite 10