Alle wollen Mercedes

■ Kässbohrer-Beschäftigte demonstrieren für Übernahme

Ulm (taz) – Die Setra-Omnibusse der Ulmer Firma Kässbohrer fahren auf der ganzen Welt. Doch ob es den viertgrößten Bushersteller Europas in einem Monat noch gibt, sagt Betriebsratsvorsitzender Kurt Lehmann, sei noch lange nicht sicher. Mit rund 700 Millionen Mark steht die 1893 gegründete Traditionsfirma bei den Banken in der Kreide. Die forderten die Geschäftsleitung auf, einen neuen Eigentümer zu suchen und Arbeitsplätze abzubauen.

Am Freitag, 16. September 1994, wurde in Stuttgart der notarielle Kaufvertrag mit dem einstigen Konkurrenten Mercedes- Benz unterschrieben. Doch die Berliner Kartellwächter untersagten die Übernahme, denn Mercedes würde eine beherrschende Stellung auf dem Omnibusmarkt erhalten. Eine ähnliche Entscheidung traf der Beratende Ausschuß für Kartell- und Monopolfragen bei der EU in Brüssel.

Das Nein aus Berlin und Brüssel war gestern der Anlaß für eine Großkundgebung in Ulm, an der sich 10.000 Menschen beteiligten. Aufgerufen zur Demo hatten nicht nur die IG Metall und der Kässbohrer-Betriebsrat, sondern auch die Städte Ulm und Neu-Ulm. Denn neben den noch bestehenden 3.200 Arbeitsplätzen bei Kässbohrer stünden auch viele Stellen bei Zulieferern auf dem Spiel. Inzwischen hat erneut Volvo Interesse an Kässbohrer angemeldet. Betriebsrat, Beschäftigte und Geschäftsführung reagieren darauf allerdings wie der Teufel aufs Weihwasser. Setra-Busse mit Volvo- Motoren seien auf dem deutschen Markt nicht abzusetzen. Weitere Entlassungen seien, wird versichert, zumindest bis Ende 1998 nur im Falle der Übernahme durch Mercedes zu verhindern.

Am 21. Februar will die EU- Kommission nun eine Entscheidung treffen. Nachdem Kässbohrer unmißverständlich gedroht hat, daß die ausländischen Werke bei einer Ablehnung geschlossen werden müßten, scheinen einige Länder einzulenken. 500 Stellen wären zum Beispiel alleine im Kässbohrer-Werk in Ligny in der von Arbeitslosigkeit schwer betroffenen Region Lothringen gefährdet. Inzwischen mehren sich die Anzeichen, daß sich auch der EU-Wettbewerbskommissar Karel van Miert für eine Übernahme durch Mercedes-Benz einsetzen will.

Betriebsratsvorsitzender Lehmann zuckt mit den Schultern auf die Frage, ob denn plötzlich die alten Ängste vor einem übermächtigen Daimler-Benz-Konzern verflogen seien. „Nachdem es keine andere Alternative mehr gab, hat sich die Lage eben völlig geändert. Sie werden in der Belegschaft niemanden mehr finden, der sagt, die Übernahme durch Mercedes wollen wir nicht.“ Klaus Wittmann