Spielen in der Zwangsjacke

Gesichter der Großstadt: „Böse Überraschung“ / Die Knastband versucht, ihrem grauen Alltag im Gefängnis in Tegel ihre Musik entgegenzusetzen  ■ Von Tanja Hamilton

Ein bißchen steif stehen sie da auf der Bühne. Sechs Musiker spielen, wie sie sagen, „experimentellen Rock“: melodische Stücke mit viel Synthesizer und Gitarre.

Schlagzeuger Frank zählt mit zusammengezogenen Augenbrauen die Takte, während die Kippe im Mundwinkel herunterbrennt. Als ihm die Glut schon fast die Lippen versengt, schmeißt er die Zigarette weg und spielt dabei einhändig weiter. Keyboarder Peter bricht frustriert ab, weil er sich verspielt hat. Er rückt sein verrutschtes Stirnband aus den Augen, und ein eintätowierter Lidstrich tritt hervor. „Det war unmöglich!“ ruft er.

„Wenn wir draußen spielen könnten, würde das alles besser laufen“, sagt Jürgen, Gitarrist und Kopf der Gruppe „Böse Überraschung“. Die Band spielt – im Knast, in der Justizvollzugsanstalt Tegel. Seit anderthalb Jahren versucht sie mit ihrer Musik den „verstaubten Knastalltag zu durchlüften“, wie es Jürgen ausdrückt.

Einmal in der Woche dürfen sie im Kultursaal der Anstalt für drei Stunden zusammen üben, mehr ist aufgrund von fehlendem Personal nicht drin. Denn bei jeder Probe muß ein Wärter mit „Schlüsselgewalt“ dabeisein.

Da fast alle aus der Gruppe auf verschiedene Häuser verteilt sind, ist die Kommunikation untereinander schwierig. „Wir kennen uns eigentlich überhaupt nicht“, meint Jürgen. Während der Proben bleibt ihnen wenig Zeit, sich zu unterhalten. Wenn sie die Chance haben zu spielen, wollen sie die Zeit nicht mit Reden vergeuden.

Der Truppe ist eine ganze Menge Frust anzumerken. Auch wenn ihnen das Spielen spürbar Spaß macht, der Zustand ihrer Instrumente ist miserabel. Franks Trommelstöcke sind fast alle abgesplittert, viele Kabel sind nur notdürftig zusammengeflickt. Ersatzteile müssen sie aus eigener Tasche finanzieren, ganz selten wird von der Anstaltsleitung etwas bewilligt. Für alles muß ein Antrag gestellt werden, und die bürokratischen Wege sind lang. Jetzt will auch noch der Sänger aussteigen, weil er im März rauskommt.

„Böse Überraschung“ ist nicht die erste Knastband in Tegel. Die Vorläufergruppe, „Armageddon“, bei der Jürgen schon dabei war, zerbrach vor ein paar Jahren, als mehrere Mitglieder entlassen wurden. Per Mundpropaganda bildete sich bald danach die neue Gruppe. Fast alle von ihnen haben draußen schon Musik gemacht, waren allerdings ziemlich aus der Übung.

Als sie im November letzten Jahres erstmals ein Konzert in der Anstalt geben durften, witzelte Peter: „Das wird eine böse Überraschung.“ Da war der Bandname geboren.

Bei ihrem Auftritt wurden sie von den anderen Gefangenen ausgepfiffen. – „Ick muß dazu aber mal sagen, det hier einije det mit dem Üben nich' janz so ernst nehmen“, sagt Peter und schielt zu Frank. „Was soll ich denn machen?“ wehrt sich dieser. „Als ich einmal in meiner Zelle ein bißchen auf dem Boden herumgetrommelt hab', kam gleich am nächsten Tag 'ne Weisung von der Anstaltsleitung. Wie hamse sich ausgedrückt? Ich möge doch, bitte, meine lautstarken Aktivitäten unterlassen“, äfft er die Knastleitung nach. „Jetzt übe ich nur noch trocken vor mich hin – überall, sogar unter der Dusche. Wenn das Wasser abgestellt wird, nehm' ich den letzten Tropfen als Outro“, sagt er und schlägt zum Zweck der Demonstration in die Luft.

Auch wenn sich die Gruppe über ihre musikalische Stilrichtung noch nicht ganz einig ist, gibt es die meisten Differenzen bei den Songtexten. Frank kritisiert, daß die jetzigen Texte „der letzte Dreck“ seien, „total peinlich und ohne Aussage“. Den anderen Knackis seien sie es schuldig, mit ihren Liedern „das Knastfeeling einzufangen und auf den Punkt zu bringen“. Bassist Andi widerspricht ihm lautstark: „Eben nich'! Wenn ich fünf Jahre sitze, will ich doch alles hören, nur nischt übern Knast!“ Sofort entbrennt eine heftige Diskussion.

„Wir spielen hier ein bißchen in der Zwangsjacke“, erklärt Jürgen. „Da wir so ein bunt zusammengewürfelter Haufen sind, muß jeder Kompromisse machen.“ Frank stimmt ihm zu: „An manchen Tagen gehe ich hier mit einem Gefühl raus, da können mir die Bullen erzählen, was sie wollen, das geht mir total am Arsch vorbei. Aber an anderen Tagen gucke ich die ganze Zeit nur auf die Uhr und denke: O Gott, hoffentlich sind die drei Stunden bald um.“

Pünktlich um sieben dreht der Wärter mit „Schlüsselgewalt“ auch heute wieder den Saft ab. „Das ist unheimlich toll für unsere Anlage!“ ruft ihm Andi zu und schüttelt den Kopf.