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: Anschluß verpaßt

„Vom Seelenstrip zum Sudeltalk – Nachtradio in Deutschland“, Mi., ARD, 21.45 Uhr

Von den Wiener Kaffeehäusern sagt man, daß sie Orte für Leute sind, die allein sein wollen, das aber nicht ohne andere Menschen können. Genau umgekehrt funktioniert das Talkradio: Hier reden Leute, die nicht allein sein wollen, das aber nur ohne andere Menschen können.

Klaus Dexel hat sich in einer Reportage dem schon seit einigen Jahren um sich greifenden medialen Quasselfieber gewidmet und fünf exemplarisch ausgesuchten NachttalkerInnen bei der Arbeit zugesehen. Anke und Marcel Bayer vom Berliner „Radio Energy“ stochern Kette rauchend im Intimleben ihrer Zuhörer herum. Petra Schirrman von „Radio Hamburg“ bringt amouröse Zufallsbekanntschaften zusammen, und beim Hamburger „Offenen Kanal“ pöbelt einmal wöchentlich ein Peter Ehrlich seine AnruferInnen an. Dabei seien es nicht „Kranke, Zombies und Aussätzige“, die nach Mitternacht beim „Nachtcafé“ von Radio NRW anrufen, wie dessen übernächtigt wirkender Moderator Thomas Rump meint. Im Selbstfahrerstudio plaudert er zum Beispiel mit Kellnerinnen, die nach der Arbeit spät „zurück in eine leere Wohnung kommen und einfach jemanden zum Sprechen brauchen“.

Da könnte es interessant werden, aber – schwups! – schon sind wir in Hamburg, wo Bettina Rust beim Pay-Sender premiere bis Ende letzten Jahres unverschlüsselt ihre geistigen Tiefflüge vorführen durfte. Zu schnell springt Dexel von Nachttalker zu Nachttalker, als daß man wirklich die zwiespältige Faszination zu spüren bekäme, die man als hörender Voyeur beim Nachttalk empfindet.

Im übrigen ist das Thema Nachttalk medial schon ziemlich durchgekaut. Aktualität bekam die Reportage darum eigentlich nur durch ein Gespräch mit Jürgen Kuttner, der sich wegen Stasi-Kontakten beim Berliner „Radio Fritz“ beurlauben ließ.

Dexel versuchte, den immer wiederkehrenden Bildern von Radiostudios etwas mehr Atmosphäre zu verleihen, indem er sie mit Aufnahmen von nächtlichen Städten zusammenmontierte. Diese Idee hat er aus Oliver Stones Film „Talk Radio“ entlehnt, der die Kamera aufregend mit dem Hubschrauber durch Dallas gleiten ließ. Beim SDR hat es nur zu öffentlich-rechtlichen Schwenks vom Fernsehturm gereicht. Soviel zur Zukunft der ARD. Tilman Baumgärtel