Elsterwerda ist doch nicht Palermo

■ Präsidenten der Rechnungshöfe sprechen von Übertreibung des „Spiegel“ / Stolpe erwägt Klage gegen das Nachrichtenmagazin / Thierse: Ossis sind nicht schuld

Rostock/Hamburg (dpa) – Die Präsidenten der Rechnungshöfe in den fünf neuen Ländern halten die Vorwürfe über die Verschwendung von Fördermitteln beim Aufbau Ost für stark übertrieben. Die im Nachrichtenmagazin Spiegel genannte Summe von 65 Milliarden Mark sei nicht belegt und „so nicht nachvollziehbar“, erklärten die obersten Rechnungsprüfer gestern. Aus den stichprobenartigen Prüfungen des Landesrechnungshofes lasse sich eine Gesamtsumme nicht hochrechnen. In Ostdeutschland würden jedenfalls keineswegs sizilianische Verhältnisse herschen.

Unterdessen verlangten Politiker aus Bund und Ländern sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), Konsequenzen aus dem Mißbrauch von Subventionen zu ziehen. Mit dem Thema „Verschwendung Aufbau Ost“ wird sich noch in dieser Woche der Bundestag befassen. Die Bundesregierung werde dazu am Donnerstag eine Regierungserklärung abgeben, teilte ein Sprecher der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion in Bonn mit. Die ostdeutschen Rechnungsprüfer hatten sich auf ihrer Routinesitzung mit der Spiegel-Darstellung befaßt, die sich unter anderem auf Berichte ihrer Behörden von 1994 stützt. Wer Summen ins Spiel bringe, müsse auch die jeweiligen Berechnungsgrundlagen aufzeigen, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung aus Rostock. In der jetzigen Form sei das Gerede über den Einsatz der Fördergelder uneffektiv und übertrieben.

Die brandenburgische Landesregierung erwägt eine Klage gegen den Spiegel. Die in dem Blatt erhobenen Behauptungen seien falsch, sagte Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD). Inbesondere im Fall der Stadt Elsterwerda seien die Fakten unzutreffend. Laut Spiegel war in der 10.000-Einwohner-Stadt eine Kläranlage für 240.000 Menschen gebaut worden – tatsächlich war sie aber nur auf 80.000 Einwohner ausgerichtet.

Strikte Kontrollen von Investitionsfördermitteln in den neuen und alten Bundesländern forderte der DGB. Angesichts „anscheinend überreichlich angebotener Fördermittel“ dürfe Unternehmensförderung nicht zu einem Selbstbedienungsladen verkommen. Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) forderte die Regierungen im Osten auf, jeden Mißbrauch von Mitteln abzustellen. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse warnte davor, die Fälle von Steuerverschwendung in den neuen Ländern zu einem „Ost-West-Gegensatz“ zu entwickeln. Die eigentlichen Nutznießer seien „mehrheitlich“ westdeutsche Firmen und Geschäftemacher. „Die Ossis“, so Thierse, „sind ja gar nicht mal schuld.“