„Hier wird eine Neidkampagne losgetreten“

■ Werner Schulz, parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen, zu den Milliarden-Subventionen, die in Ostdeutschland versandet sind

taz: Herr Schulz, 65 Milliarden Mark an Fördermitteln sollen im Osten versandet sein. Es wird der Eindruck erweckt, als seien die Ostdeutschen ein Volk von Raffkes, die nicht ordentlich mit dem Geld umgehen können.

Schulz: Hier wird eine Neidkampagne losgetreten. Das Ganze kommt nicht von ungefähr zu dem Zeitpunkt, zu dem spät und auch verspätet der Solidarbeitrag erhoben wird. Dieser Beitrag wird ja nicht für aktuelle Leistungen gebraucht, sondern für bereits erbrachte. Die Einheit ist auf Pump gemacht worden. Wir kommen also jetzt an den Grundfehler der Deutschen Einheit, daß Helmut Kohl den Ostdeutschen die D- Mark versprochen hat und den Westdeutschen gesagt hat, ihnen würde nichts genommen.

Ist der Vorwurf der Verschwendung völlig aus der Luft gegriffen?

Es ist möglich, daß es im Osten zu solchen Pannen, zu solchen Veruntreuungen gekommen ist. Doch was im Osten an Verwaltung entstanden ist, ist doch das spiegelbildliche Abbild dessen, was im Westen bereits vorhanden war – mit allen Schwächen und allen Tücken. Die sehr leichtfertige Verwendung von Subventionen, diese geringe Überprüfung, die seit Jahren bekannten Mahnungen und Kontrollberichte der Rechnungshöfe sind eine Praxis, die in den Osten mit übertragen wurde. Das ganze Geld ist zudem im Osten zu einem Zeitpunkt ausgegeben worden, als es noch keine funktionsfähige Verwaltung gab. Und die alte Bundesrepublik hat sich geweigert, ihre Beamten in die neuen Länder zu entsenden, um zu kontrollieren, ob die Gelder auch seriös verwendet werden. Statt dessen hat man einen Förderwirrwarr entwickelt, mit über 700 Einzelmaßnahmen, die den Aufbau Ost ausmachen.

Dieser Wirrwarr und die Mißstände sind bereits seit längerem bekannt. Weshalb jetzt diese Aufregung?

Es ist ein zum Teil abgekartetes Spiel. Der eine, Theo Waigel, erhebt den Solidarbeitrag, und der andere, Edmund Stoiber, schürt die Stimmung gegen diesen Beitrag.

Sind es nur bayrische Ressentiments?

Es ist die verschleppte Solidarität, die hier zur Tücke wird. 1990 sind sehr viele Menschen im Westen bereit gewesen, für den Osten zu zahlen. Jeder sah, das Land ist unterkapitalisiert, das kostet Geld. Nun hat man ihnen aber jahrelang eingeredet, es würde kein Geld kosten, man müsse lediglich umschichten. Und nun kommt der Solidarbeitrag und gleichzeitig kommen die ersten Mängelberichte auf. Berichte, die den Finanzbehörden seit längerem bekannt sind. Ich kann viele verstehen, die jetzt fragen, weshalb zahlen wir überhaupt, wenn die Gelder nicht dort ankommen, wo sie hin sollen.

Und was antworten sie denen?

Ich sage, es muß sorgfältig geprüft werden, inwieweit die Vorwürfe stimmen. Es müssen Regreßforderungen erhoben werden. Es müssen die Betrüger, soweit man sie noch kriegt, zur Kasse gezogen werden. Und es muß vor allem die Konsequenz gezogen werden, daß dieses Subventionsdickicht gelichtet wird und daß die Rechnungshöfe die Möglichkeit erhalten, selbständig oder auf Anforderung der Opposition tätig zu werden. Aus den Prüfungsberichten der Rechnungshöfe müssen sich rechtliche Konsequenzen ergeben. Interview: Dieter Rulff