Furcht vor serbisch-kroatischem Krieg wächst

■ Die Warnungen vor einem Abzug der UN-Truppen aus Kroatien und Bosnien werden dramatischer / Westliche Verteidigungsminister beraten über Nato-Evakuierungspläne

Zagreb (taz) – Die Warnungen vor einem neuen umfassenden Krieg in Bosnien, der in diesem Jahr auch noch andere Teile des ehemaligen Jugoslawiens erfassen könnte, werden immer deutlicher. Zurückgekehrt von einer Reise nach Sarajevo und Mostar, nahm der SPD-Außenpolitiker Norbert Gansel gestern einen Hinweis von UN-Generalsekretär Butros Ghali vom Vortag auf, wonach die Weigerung der kroatischen Regierung, das UN-Mandat für Kroatien zu verlängern, die Lage weiter verschärft habe. Eine „neue Welle von Krieg mit vielen hunderttausend Toten“ sei möglich. Gansel verwies auf die starke Aufrüstung bei allen Kriegsparteien in der Region.

Auch Butros Ghali wiederholte bei seinem Besuch in Wien die Warnungen vor einer „Tragödie“, sollten die UNO-Truppen aus Kroatien und Bosnien abziehen.

Während die Verteidigungsminister der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands in Florida die Rolle der Nato bei einem möglichen Abzug der Blauhelme beraten, wachsen die Anzeichen einer Ost-West-Spaltung auf dem Balkan. Begrüßt wird in Kroatien das Vorhaben der britischen und französischen Diplomatie, den Abzug der UN-Truppen aus Kroatien nicht von einem Mandat des Weltsicherheitsrates abhängig machen zu lassen, wo ein russisches Veto jegliche diesbezügliche Entscheidung blockieren würde.

Mit dem Verteidigungsabkommen zwischen Restjugoslawien und Rußland – das offiziell erst mit der Aufhebung der Sanktionen gegenüber Serbien und Montenegro in Kraft gesetzt werden soll – habe Rußland gezeigt, daß es nicht einmal mehr den „Schein von Neutralität“ aufrechterhalten wolle, heißt es weiterhin in Zagreb. Es passe ins Bild, wenn der Kommandeur der russischen Luftstreitkräfte, Jewgeni Podkolzin, am 1. März vor russischen UNO-Truppen in Kroatien davon sprach, daß „wir so handeln sollten, als gäbe es den Rückzug der Unprofor-Truppen aus Kroatien nicht.“ Dies bedeute, so eine inoffizielle Regierungsquelle, „daß die Russen bei einem Abzug der anderen UNO-Truppen in ihren Stellungen in den besetzten Gebieten um Vukovar bleiben werden“.

Besonders Aufsehen erregt hat in Zagreb die Formulierung des restjugoslawischen Verteidigungsministers Pavle Bulatovic vom 28. Februar bezüglich der südlich von Dubrovnik liegenden, zu Kroatien gehörenden Halbinsel Prevlaka, die er als „von außergewöhnlicher Wichtigkeit für uns“ bezeichnet hatte. Hinter der Äußerung steht der serbische Wunsch, die heute von UNO-Truppen besetzte Halbinsel Prevlaka zumindest zu demilitarisieren. Von ihr aus ist es nämlich möglich, den Zugang zum serbisch-montenegrinischen Militärhafen von Kotor zu kontrollieren. Fiele die Kontrolle über die Halbinsel nach dem Abzug der UN- Truppen wieder vollständig an Kroatien, wäre es für die serbisch- montenegrinische Flotte nicht möglich, unabhängig in der Adria zu operieren.

Zweifelsohne hofft Belgrad auch in dieser Frage auf russische Unterstützung.

In westlichen diplomatischen Kreisen wird das Verhalten der russischen Seite mit Sorge gesehen. Die Kontaktgruppe sei bereits tot, eine stärkere Konfrontation zwischen dem Westen und Rußland auf dem Balkan sei nicht mehr auszuschließen. Die Forderung des kroatischen Präsidenten Tudjman an die UNO, die Unprofor-Truppen ab dem 31. März zurückzuziehen, wird gleichzeitig jedoch bei den meisten Diplomaten als Fehler angesehen.

Tudjman habe sich da in eine Sackgasse begeben, denn die serbische Seite zeige sich keineswegs geneigt, den Kroaten in der Frage der besetzten Gebiete in Kroatien in erwarteter Form entgegenzukommen.

In der Tat zeigt Milosević in diesen Tagen Tudjman offenbar die kalte Schulter. Weder ist es, wie in Kroatien erhofft, zu einem Besuch des kroatischen Außenministers Granic in Belgrad gekommen, noch haben sich die lokalen Serben in der Krajina zu Zugeständnissen bereit erklärt.

Es ist sogar angekündigt worden, am 8. März den relativ moderaten krajina-serbischen Ministerpräsidenten Borislav Mikolic abzusetzen und die seit einigen Wochen geöffnete Autobahn Zagreb–Belgrad nahe dem serbisch besetzten Ort Okucani wieder zu unterbrechen.

Dies alles sind Anzeichen, daß die serbische Seite bei einem etwaigen Abzug der UNO-Truppen die offene Konfrontation annehmen würde. Ein offener serbisch- kroatischer Krieg wäre dann die unausweichliche Folge.