Schläger auf Streife

■ Bernauer Polizisten müssen wegen Mißhandlung von Vietnamesen vor Gericht, die meisten Berliner Beamten nicht

Berlin (taz) – „Anhaltspunkte dafür, daß den Bekundungen Ihres Mandanten ein höherer Beweiswert zukommt als den Angaben der Beschuldigten, liegen nicht vor. Das Verfahren war daher einzustellen“ – Begräbnis 1. Klasse für eine Strafanzeige mit schwerwiegender Anschuldigung. Eine von vielen, die im Amtsdeutsch vornehm unter der Rubrik „Körperverletzung im Amt zum Nachteil von ausländischen Mitbürgern“ firmieren. Vor Monaten hießen sie noch „der Polizeiskandal“. Der Skandal: Polizeibeamte in Berlin und im benachbarten Bernau haben hier lebende Vietnamesen in zahlreichen Fällen mißhandelt, gedemütigt und bestohlen.

Nun wird die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder deswegen Anklage gegen sechs bis sieben Polizisten aus Bernau erheben. Voraussichtlich im Herbst werden die vom Dienst Suspendierten – alle Angehörige derselben Dienstschicht – in einem Mammutverfahren vor Gericht stehen.

Ihre beschuldigten Berliner Kollegen schieben währenddessen weiterhin Dienst in Uniform und werden es wohl auch in Zukunft tun: eine polizeiliche Sonderkommission, die die Vorwürfe gegen die Mannen in den eigenen Reihen prüfen sollte, wurde zur Jahreswende aufgelöst.

Und die Staatsanwaltschaft stellt ein Ermittlungsverfahren nach dem anderen ein. Was als mühsamer und auch angstbesetzter Versuch begann, sich gegen Übergriffe und Willkür polizeilicher Greiftrupps zu schützen, droht an juristischen Klippen zu stranden – zur unverhohlenen Genugtuung der Berliner Polizei und ihres obersten Dienstherrn. Für eine ausländerfeindliche Haltung gegenüber Vietnamesen, triumphiert Innensenator Heckelmann noch vor dem endgültigen Abschluß sämtlicher Ermittlungen, gebe es „keinerlei gesicherte Angaben“. Die Zahlen scheinen dem Senator recht zu geben: von 72 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten wegen des Verdachts der Mißhandlung von Vietnamesen wurden bisher 38 eingestellt. 34 Verfahren sind noch offen. Nur in zwei Fällen entschloß sich die Berliner Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung.

Eine Bilanz, die als Indiz für die Haltlosigkeit der Vorwürfe gedeutet werden kann. Mehr aber noch scheint sie Indiz für unengagierte Ermittlungsarbeit, Mißtrauen, Verständnisschwierigkeiten und mangelnde Sensibilität gegenüber den vietnamesischen Opfern. Anwälte und Betroffene haben dafür zahlreiche Belege: Während die Sonderkommission des brandenburgischen Landeskriminalamtes den Zeugenaussagen der vietnamesischen Opfer eine hohe Glaubwürdigkeit bescheinigte, begegneten die Berliner Ermittler den Zeugen eher mit Skepsis – auch wenn es dieselben waren, die sich gegenüber den Bernauer Vernehmern als präzise Beobachter glaubhaft gemacht hatten. „In Berlin“, so kritisiert die Anwältin Petra Schlagenhoff, die zahlreiche vietnamesische Mandanten vertritt, „wird eher gefragt, was gegen die Angaben der Vietnamesen spricht.“ Wohl nicht zufällig wurde bisher nur in den zwei Fällen Anklage erhoben, wo es auch deutsche Zeugen gab.

Daß die Ermittlungen gegen die Berliner Polizisten weitaus schwieriger sind als die in Bernau, räumen auch Anwälte und Betroffene ein. In Bernau richten sich die Vorwürfe nur gegen Beamte einer Polizeiwache, in Berlin stehen Uniformierte und Zivilfahnder unter Verdacht, die oft nur schwer einem Revier zuzuordnen sind. Doch im Vergleich zu ihren brandenburgischen Kollegen haben die Berliner Ermittler fahrlässig wenig unternommen, Unklarheiten und Widersprüche aufzuklären. In Bernau etwa erinnerte sich einer der mißhandelten Vietnamesen daran, daß ein Straßenbauarbeiter ihn beobachtet habe, wie er einst schmerzverzerrt die Wache verlassen habe. In akribischer Suche durchforstete die brandenburgische Sonderkommission sämtliche in Frage kommende Baufirmen – und fand schließlich den Arbeiter als Zeugen. In Berlin hingegen legte man einem Vietnamesen zur Identifikation des Täters mehrere Fotos von Polizisten vor. Derjenige, den er beschuldigte, war nicht dabei. Klarer Fall für die Staatsanwaltschaft: Einstellung des Verfahrens. Durch puren Zufall erkannte der Vietnamese dann doch noch seinen Peiniger – sein Foto wurde ihm vorgelegt, als er als Zeuge in einem anderen Zusammenhang aussagte.

Teilweise, so berichten MitarbeiterInnen des deutsch-vietnamesischen Freundschaftsvereins „Reistrommel“, wurden die Betroffenen gar nicht erst nach möglichen Tatzeugen befragt. In einem Fall teilte die Staatsanwaltschaft einem deutschen Zeugen mit, man könne auf seine Vernehmung verzichten, weil seine Angaben durch das vietnamesische Opfer nicht bestätigt worden seien, will heißen, die Mißhandlung habe gar nicht stattgefunden – nur hatte das Opfer gar keine diesbezügliche Aussage gemacht, sondern geschwiegen. Auch dieses Verfahren wurde eingestellt. Vera Gaserow