Regierung geht auf Tauchstation

■ Kein Kommentar zur Verjährung von Kriegsverbrechen

Bonn (taz) – Die Bundesregierung weiß auch fünfzig Jahre nach Kriegsende nicht, wie sie die Taten der Wehrmachtsjustiz im Dritten Reich bewerten soll. Auf die Frage des Abgeordneten Volker Beck (Bündnis 90/ Grüne), ob die Regierungen seit 1949 nie Anlaß gesehen hätten, sich mit der Militärgerichtsbarkeit auseinanderzusetzen, verwies der Staatssekretär im Justizministerium, Rainer Funke, gestern auf die Zukunft: „Dieses wird Gegenstand von Beratungen im Deutschen Bundestag sein.“

Anlaß für Becks Initiative in der Fragestunde des Bundestags gestern war ein Urteil des Bundesgerichtshofs von Mittwoch letzter Woche. Die Bundesrichter hatten die Verbrechen eines damals 20jährigen Leutnants der Wehrmacht für verjährt erklärt. 1943 hatte er zusammen mit zwei Kameraden 22 italienische Zivilisten bei Neapel umgebracht und das Verbrechen als Partisanenbekämpfung gerechtfertigt. Die Richter hatten in ihrem Urteil vorausgesetzt, daß die Taten von der Wehrmachtsjustiz verfolgt worden wären und damit eine Unabhängigkeit der Militärjustiz angenommen, die es nach herrschender Meinung der Militärgeschichtsschreibung nicht gab.

Staatssekretär Funke entzog sich Fragen nach diesem Urteil gestern mit der Begründung, er kenne dessen schriftliche Fassung noch nicht. Es gehöre auch „nicht zu den Aufgaben der Bundesregierung, höchstrichterliche Entscheidungen zu kommentieren.“ Die Regierungskoalition ist in dieser Frage allerdings längst in Bewegung geraten. Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Norbert Geis, hat inzwischen erklärt, er könne sich eine Verurteilung der Wehrmachtsrechtsprechung durch den Bundestag durchaus vorstellen. „Vielleicht sollte man in Fällen wie dem in Karlsruhe verhandelten überlegen, ob nicht da, wo sich das Gegenteil nicht beweisen läßt, angenommen werden muß, daß die Wehrmachtsjustiz der verlängerte Arm des NS-Regimes war.“ Andrea Dernbach