Prêt-à-porter
: Elegant, gefährlich

■ Neue Winterkollektionen: Bikkemberg mit nur einem Rock!

Das Wetter in Paris ist wundervoll. Die Sonne scheint, und es weht ein Lüftchen, als wär' die See gleich nebenan. Es ist vielleicht ein bißchen kühl, aber die Brise weht dafür den ganzen Benzingestank hinweg und stimmt ein auf das Ereignis: Die Chambre Syndicale du Prêt-à- Porter des Couturiers et des Créateurs de Mode präsentiert vom 13. bis 22. März die neueste Wintermode – und wir reden hier vom Winter 95/96.

Die Kammer selbst residiert im äußerst vornehmen Faubourg Saint Honoré. Das Büro ist so winzig, daß dort nur Frauen arbeiten können. Die sind klein und nehmen nicht so viel Platz weg. Man muß dort 140 Franc für die Akkreditierung bezahlen, damit sind die Formalitäten erledigt.

Am Sonntag abend klingelte ich mit etwas zittrigen Knien bei den Chervels, meinen charmanten Gastgebern. Wir begrüßten uns freudig, doch schon während baisses getauscht wurden, stierten meine Augen auf den Eßtisch, auf dem ein unerwartet hoher Stapel Post lag. „Ist das für mich?“ Es ist. Die meisten Couturiers haben zugesagt!

Den Rest des Abends studierten wir dann die Einladungskarten. Die meisten sind einfach schlicht weiß und schwarz oder golden bedruckt, wie Kondolenzkarten. Miyake hat eine Einladungskarte in Größe eines Posters verschickt, und bei Chloé steht so ein Plastikinlett auf, mit aufgemalten Zypressen und Orangen, wenn man die Karte öffnet. „ST“ steht häufig auf den Einladungen. Zwei Tage später wird mir klar, was das heißt.

Dirk Bikkembergs ist einer der vier Belgier, die in den letzten Jahren in Paris Furore gemacht haben, neben Martin Margiela, Ann Demeulemeester und Dries van Noten. Seine Show soll um sechs Uhr abends anfangen, und als ich eine Viertelstunde vorher dort auftauche, ist die Straße bereits vollgestellt mit sehr chic in Schwarz gekleideten jungen Männern.

Frauen gibt es auch gelegentlich, aber sie sehen meist nicht halb so gut aus. Vermutlich, weil sie aus beruflichen Gründen hier sind. Vor dem Eingang mit dem Schild „Presse“ stehen nämlich hauptsächlich Frauen. Die meisten dürfen noch nicht rein. Sie haben wie ich eine Karte, auf der „ST“ steht. „This means: Standing“, bescheidet mich knapp ein Türsteher, und daß erst die JournalistInnen mit Sitzplätzen eintreten dürften. Knapp eine Stunde später stehen wir immer noch draußen vor der Tür, aber dann dürfen auch die „ST“-JournalistInnen endlich in den Saal. Wir haben kaum Zeit, uns an die Wand zu lehnen, da geht es auch schon los.

Zu 150 beats per minute schreiten Models in knallengen roten oder schwarzen Hosen aus dehnbarem Material über den Laufsteg. Die Hosen sind etwa auf Höhe der Leisten abgeschnitten, so daß letztlich eine Art Bikinihöschen übrigbleibt, an dem der Rest des Beinkleids – wie überlange Strümpfe – mit Strapsen in Form von Klettverschlüssen befestigt ist. Darüber taillenkurze Pullover. Es ist ein fulminantes Entrée, und es wird noch viel besser. Bikkembergs hat nur einen einzigen Rock im Programm, aber dafür jede Menge Anzüge. Die Farben sind die typischen Winterfarben: Grau, Blau, Schwarz und Braun. Das Material ist, auch bei den weit geschnittenen Anzügen, Wolle in einer Stretchform. Die Hosen laufen unten meist nicht mehr eng zu, sondern sind gerade geschnitten, so daß sie elegant um die Beine schlackern. Die Jacken sind tailliert, manche mit den Taschen auf dem Gesäß. Das Ganze erinnert ein bißchen an die Anzüge, die schwarze Schauspieler während der 70er Jahre in Serien wie „Shaft“ trugen. Sehr elegant, aber auch immer eine Spur gefährlich. Der Träger konnte mindestens so gut zuschlagen wie tanzen. Abgeändert wird diese Version des Straßenanzugs hauptsächlich durch zwei Dinge: Die Jacken sind häufig am Saum fünfmal abgesteppt. Durch diese Verstärkung stehen sie ganz leicht vom Körper ab und wirken sehr stabil, auch wenn das Material ganz leicht ist. Und an den Hosen ist häufig je rechts und links ein langes Satinband befestigt, das beim Gehen charmant hinterher flattert. Die Dame ist durchaus fähig, einem Anbeter ein blaues Auge zu hauen, aber vielleicht läßt sie sich auch einfangen.

Wenn das so weiter geht, kaufe ich mir eine Fußsalbe und stehe. Klaglos. Anja Seeliger