Prêt-à-porter
: Allein durch die Verarbeitung!

■ Auf Pariser Laufstegen: Neue Winterkollektionen von Ferre und Margiela

Die großen Schauen finden im Carrousel du Louvre statt. Dort, unter der Erde, befinden sich vier Säle unterschiedlicher Größe. Gianfranco Ferre hat für Dior den größten gebucht. Es wird voll, ohne daß man sich quetschen muß. Das Publikum im Carrousel ist sehr würdevoll. Man trägt klassisch blau und schwarz, und alle sehen wirklich tadellos aus. Die einzigen, die hier etwas aus der Rolle fallen sind die Kamera- und Tonleute vom Fernsehen. Sie sind nicht nur nachlässig gekleidet, sondern pfeifen während der Show auch aufmunternd ihr bevorzugtes Modell an: Claudia Schiffer. So eine Prise schlechten Geschmacks wirkt in diesen hohen Hallen sehr belebend.

Ferre hat für Dior den Vamp entstaubt. Enge schwarze Pullover und Röcke, darüber glockig weit geschnittene Mäntel, die fast bis zu den Knöcheln reichen, in der Taille eng gegürtet und mit Leopardenfell gefüttert sind. Ein Modell kommt daher gestakst in einem hautengen schwarzen Kleid mit Leopardenfellbesatz am Kragen, Manschetten und Taschen. Dazu ein leopardenfellbezogenes Handtäschchen, sehr sehr hohe Absätze und eine lange Zigarettenspitze zwischen den behandschuhten Fingern. Andere Kostüme haben statt dem Leopardenfell einen puscheligen Besatz, der laut Programm Fell von einem weißen Schaf aus der Mongolei ist.

Am besten gefiel mir ein Kleid aus roter Ottomanseide, das wie die Mäntel geschnitten war – in der Taille eng und dann glockig weit auseinanderfallend, wie die Morgenmäntel in glamourösen Hollywoodfilmen aus den Vierzigern. Genau das richtige, um nach einem gräßlich stumpfsinnigen Arbeitstag einen drauf zu machen. Obwohl sich Ferre in dem Programm auf die Edwardianische Mode bezieht, erinnern Länge und Weite der Röcke stark an Diors „New Look“ der Nachkriegsjahre. Die Ferresche femme fatale ist weniger dekadente „belle Otero“ als adrette Audrey Hepburn, ihre mondäne Aufmachung betont das reizende Kind darunter, statt es in etwas geheimnisvolleres zu verwandeln.

Der belgische Designer Martin Margiela lud in ein Zirkuszelt, eine halbe Stunde Fußmarsch von der nächsten Metro-Station entfernt. In dem schummrigen Licht sehen die Platzanweiser in ihren langen weißen Kitteln aus wie freundliche Wärter, die ihre Versuchstiere beobachten. Kaum einer versucht, das Treiben zu dirigieren. Ich nippe an meinem Becher Wein und lausche dem Gegacker von drei kreuzfidelen Italienerinnen vor mir.

Margiela betrat die Szene vor wenigen Jahren mit einem Paukenschlag, als er klassische Jacken, Röcke und Westen vorführte, die tadellos geschnitten waren, aber alles zeigten, was normalerweise sorgfältig innen unter einem Futter verborgen wird: Nähte, Abnäher, Druckknöpfe – alles war nach außen gekehrt. Außerdem benutzte er alte Kleider vom Flohmarkt, die er auftrennte, um dann die einzelnen Teile weiter zu verwenden. Und so ist es auch hier wieder zu sehen. Knapp knielange Kleider und Röcke aus einem Material das aussieht wie Satinfutter, Reißverschlüsse und Nähte liegen außen bloß. Darüber „richtig“ verarbeitete, taillierte Jackets, die mit geflochtenen schmalen Gürteln zusammengehalten werden. Dann gibt es leicht ausgestellte Kostümröcke aus Wollstoff oder Tweed, darüber verfilzte Wolljacken, die aussehen, als hätte Rei Kawakubo sie ihrer Spezialbehandlung unterzogen. Manche Kleider aus einem fließenden glänzenden Material sind mit Leder- oder Fellkragen geschmückt, die offensichtlich von alten Jacken aus den siebziger Jahren stammen. Es ist einfach wundervoll. Margiela umgeht die ganze blöde hausbackene Eleganz, die klassischen Kostümen, Anzügen und Kleidern meist anhaftet, allein durch die Verarbeitung. Das unverschämte Aufzeigen, wie weibliche Reize durch die Verarbeitung hervorgehoben werden, erscheint mir sehr viel aufregender, als das Herzeigen von Bein oder Busen. Schließlich sieht man die an jedem Zeitungskiosk. Anja Seeliger