■ Wie Kinkel mit Havels Angebot umgeht
: Die Blockade zementieren

Zuerst hat es die Bundesregierung mit der berühmten Vogel-Strauß-Taktik versucht. Dem liberalen Außenminister Klaus Kinkel war es offensichtlich reichlich schnuppe, daß der tschechische Präsident Václav Havel vor vier Wochen versucht hat, die Blockade der deutsch-tschechischen Beziehungen zu überwinden. Zumindest nahm kein Vertreter der Bundesregierung den Ball auf, den Havel mit seiner Rede über die gemeinsame Geschichte und Zukunft ins Feld der deutschen Politik gespielt hatte. Schweigen statt Dialog hieß die Reaktion. An Dusseligkeit kann das nicht gelegen haben, denn die Bundesregierung war darauf vorbereitet gewesen, daß Havel ein Angebot machen würde.

Eine deutliche Antwort hat deshalb erst das Insistieren der Bündnisgrünen provoziert, die auch die Sozialdemokraten im Bundestag aufgeweckt hatten. Mit der gestrigen Regierungserklärung Kinkels fiel die angemahnte Antwort freilich so schlimm aus, daß man man sich fragen muß, ob man mit dem bisherigen ostentativen Schweigen zu Havels Vorstoß nicht besser bedient war.

Statt die Signale aus Prag zu würdigen und sich zu einer Geste durchzuringen, kritisiert der deutsche Außenminister mit schwammigen Worten den tschechischen Präsidenten und bekräftigt dann noch ausdrücklich ein peinliches Junktim: Eine Entschädigung für tschechische NS-Opfer wird von Bonn nur gezahlt, wenn die Prager Regierung auf das „verletzte Rechtsgefühl vieler Sudetendeutscher“ eingeht, indem sie sich von den Benes-Dekreten distanziert.

Dieses Junktim ist durch keinerlei außenpolitische Zielsetzung der Bundesrepublik gedeckt und bedeutet einen moralischen Skandal. Warum Opfer des Nationalsozialismus im Nachbarland, die bislang von Deutschland keinen Pfennig an Entschädigung erhalten haben, auf das Kuschen ihrer eigenen Regierung gegenüber Bonner Forderungen angewiesen sein sollen, ist beim besten Willen nicht zu erklären. Das Unrecht an ihnen wird nicht weniger schlimm, weil Prag keine Entschädigung an die deutschen Vertriebenen zahlt. Die Logik der Bundesregierung führt geradewegs in jenes kleinliche Aufrechnen gegenseitiger Verbrechen, vor dem Havel ausdrücklich gewarnt hatte.

Aber es ist ja auch keine Außenpolitik, die Kinkel gegenüber Tschechien betreibt, sondern kleinliche Innenpolitik: Der Außenminister macht die tschechischen NS-Opfer zu Geiseln der Sudetendeutschen und opfert den Bremsern unter den Vertriebenen die Klärung der Beziehungen zwischen beiden Staaten. Das aber führt nicht in die Zukunft, sondern betoniert den Stillstand. Hans Monath