Prêt-à-porter
: Der nächste Winter wird glänzend

■ Willkommen in der Moderne. Alles in Seide, Samt, Lurex, Lack und Nylon. Lacroix enttäuscht mit naiver Folklore, madamigen Kostümen, Karottenhosen

Was ist das? Schwermütige, langsame Musik, und da bewegt sich irgend etwas Schwarzes und Weißes. Ich hüpfe von meinem Stehplatz in der dritten Reihe kurz hoch, um einen Blick auf den Laufsteg werfen zu können (im wahrsten Sinne des Wortes). Dort rückt langsam, gaanz langsam eine Reihe von fast nackten Mädchen heran in kurzen schwarzglänzenden Shorts, die Arme über der Brust verschränkt. Dann schreiten sie würdevoll wie Priesterinnen wieder zurück, und wir sehen gebannt ihren weißen, schmalen langen Rücken hinterher.

Eine andere Frau betritt den Laufsteg. Sie trägt eine schmale Hose und eine Steppjacke, deren vertikale Bahnen in der Taille so stark zusammenlaufen, daß so etwas wie ein Hüftknick entsteht. In der Form ist es eine raffiniert geschnittene Kostümjacke, aber das Material sieht aus wie ein stark glänzender Anorakstoff. Willkommen in der Moderne! Die Frau geht langsam, fast zögerlich, so, als bereite ihr das Gehen etwas Mühe. Sie ist mindestens siebzig Jahre alt, und wenn ihr Gang auch ein wenig unsicher ist, so ist ihr Rücken doch sehr, sehr gerade. Wenige Meter vor dem Ende des Laufstegs bleibt sie stehen und breitet triumphierend die Arme aus. Ein Applaus setzt ein, wie ich ihn bei diesen Schauen noch nicht gehört habe. Es ist ein sehr warmherziger Beifall, der keineswegs nur dem Alter dieser Dame gezollt wird, sondern unbedingt auch der Tatsache, daß der Anzug sie auf das Bewundernswürdigste kleidet.

Wenn sich bei diesen Schauen ein Trend ausmachen läßt, dann der, daß der nächste Winter glänzend wird. Ob Kleid oder Wintermantel: Seide, Pannesamt, Lurex, Lack und Nylon fehlten bei keinem Designer. Doch gerade die häufig benutzten, glänzenden Synthetikstoffe ließen deutlich werden, wie konventionell oft die Formen waren. Lange Röcke, kurze Röcke, gerade Jacken, taillierte Jacken, ein bißchen zwanziger, ein bißchen siebziger und eine kräftige Portion fünfziger Jahre — viele Kollektionen (Dior, Chloä, Lagerfeld, Lacroix) wirkten wie eine Art Kramladen, in dem sich jeder das Passende heraussuchen konnte. Die oft zitierte Vielfalt entpuppte sich letztendlich als mangelnde Courage. Eine große Ausnahme bildete der Japaner Issey Miyake, dessen oben beschriebener Anzug keineswegs ein einzelner Glücksgriff war. Miyakes Kollektion war sowohl anmutig als auch modern. Er zeigte Lederjacken, die so kompliziert geschnitten waren, daß man sie kaum beschreiben kann. Aber der Gesamteindruck war paradoxerweise der einer großen Schlichtheit.

Nach Miyakes Vorstellung verwandelte sich die Enttäuschung über Christian Lacroix fast in Mitleid. Lacroixs Kollektion erinnerte in der Form fatal an den naiv-braven Folklorestil, den Yves Saint-Laurent in den siebziger Jahren populär gemacht hatte. Bedruckte weite Röcke, die oft bis zu den Waden reichten, madamige Kostüme und Karottenhosen. Der Grundton war ein Braun, dem auch üppige Gold- und Bronze-Drucke nicht die Spur von Glamour verleihen konnten. Ein trauriger Anblick.

Zum Schluß noch ein kleiner Nachtrag zur Show von Thierry Mugler, die vorgestern besprochen wurde: Die Dame, die einen etwas ungelenken Striptease aufs Parkett gelegt hatte, war Patty Hearst! Die täglich erscheinende amerikanische Zeitung Women's Wear Daily kommentierte das Ereignis mit den trockenen Worten: „It was probably the second biggest event of her life.“ Anja Seeliger