Das gips doch nicht

■ Bitte sprechen Sie nach dem Piepton: Ein Gespräch über Robert Altmans neuen Film "Pret-a-porter", inzwischen per Dekret um eine Beleidigung ärmer, zwischen den Damen Werneburg und Niroumand

Mariam Niroumand: Ein Gespräch über Mode ist immer auch ein Gespräch über Frauen, heißt es, so so hm hm.

Brigitte Werneburg: Von Mode, Models und Frauen darf in der seriösen Presse nicht im Ton der Begeisterung gesprochen werden. Deshalb plaudern wir ja auch nur drüber ... „Gips in den Köpfen“ titeln die Opas vom Spiegel, jetzt gerade Claudius Seidl, über Star-Models. Über Stars der männlichen Subkultur, also zum Beispiel Fußballer, würden sie nie so schreiben. Ich denke, schon allein das Thema Mode wird Altman zum Problem.

Niroumand: Aber Altman hat über das Thema Mode doch nichts weiter zu sagen als über Showbiz und andere Players: Wir sind ein bißchen müde von uns selbst, bedecken unsere Panik mit eitlem Tand und treten dauernd ins Chichi.

Werneburg: Die Sache mit der Hundescheiße ist doch genial! Nach dem Film dachte ich: Auf dieses Thema habe ich zwanzig Jahre gewartet; vor allem in Berlin. So was würde Wim Wenders' Engeln nie passieren.

Und was die Panik angeht ... Wir gehen doch nackt!

Niroumand: Also diesen Schluß mit der Wiederaufführung von „Des Kaisers neue Kleider“, das war doch genau der Ekel an der Mode: Hier sind die Frauen endlich wieder in Evas Kostüm, eine ist sogar hochschwanger mit nichts an als einem Brautschleier, mein Gott (Ute Lemper, die Red.), also retrograder geht's doch nimmer!

Werneburg: Das sehe ich anders. Es geht nicht um des Kaisers, sondern um der Mode neue Kleider. Altman hat das ganz gut erkannt. Wenn man sich die neuen Röcke von Lagerfeld und Commes des Garçons anschaut, die vorne offen sind, dann zeigt sich, daß die Tektonik der Beine zum Rumpf bei den Frauen eine wohlgestaltete ist: Kein Spur von Penis, keine Spur von Penisneid.

Niroumand: Aber die Nacktshow ist doch nur eine Reaktion der von Anouk Aimée gespielten Designerin auf den Ausverkauf ihrer Firma an einen texanischen Redneck, also Untergang des europäischen Künstlertums im amerikanischen Imperium. Darin liegt, glaube ich, auch eine Strategie des Künstlers Altman für sich selbst: Mit der Besetzung Mastroianni / Loren hat er lebende Anleihen beim europäischen Kunstfilm gemacht, während Julia Roberts und Tim Robbins als amerikanisches Journalistenpärchen den ganzen Film über das Bett nicht verlassen, in deren Hotelzimmer stets der Fernseher läuft.

Werneburg: Eigentlich ist es noch bedenklicher. Nach der Kunst will Amerika auch in der Mode Paris den Rang ablaufen und kann es eigentlich auch; es gibt dort eine Menge guter Designer. Und wenn man die Berichterstattung der New York Times zu den Schauen betrachtet, sieht man, wie da gegen Paris gepowert wird. Und dann bleibt Altman in Paris!

Niroumand: Ich glaube im Gegenteil, daß Miramax – inzwischen eine Disney-Tochter – gerade die Strategie verfolgt, in Paris ein eigenes Produktionsstudio zu errichten, in dem sie Medium-Budget- Filme herstellen, die dort drüben als tasty European stuff an die Programmkinos verscherbelt werden. Auf diese Weise machen sie sich – passend zum Gatt-Krieg – von den zickigen europäischen Auteurs, multiplen Verleihern und ihren archaischen Produktionsformen unabhängig.

Werneburg: Dann finde ich, daß Altman ein außerordentlich charmanter Auteur ist, dem mit dem Pärchen Roberts / Robbins eine aktuell-erhellende Parodie auf „His Girl Friday“ gelungen ist. Während das Reporterpaar der vierziger Jahre hektisch im Nachrichtenbetrieb agiert, können die Journalisten des totalinformierten Medienzeitalters im Hotelzimmer vor dem TV Champagner saufen.

Niroumand: Reschpekt, reschpekt, Frau Werneburg. Aber die Journaille kriegt in „Prêt-à-porter“ ja auch noch anders ihr Fett weg: also die drei Grazien Sally Kellerman, Tracy Ullman und Linda Hunt als konkurrierende Redakteusen von Elle, Vogue und Harper's Bazaar, die um ein Mega-Arschloch von einem Fotografen (Stephen Rea als Mile O'Brannigan, offensichtlich modelliert nach dem Star-Fotografen Steven Meisel) sich in den Staub und anderswo hinwerfen. Das ist doch wieder derselbe Vorwurf wie der gegen Nashville, Hollywood und wie sie alle heißen: Ihr tut alles für eure Cheap Thrills, selbst Herumhuren tut ihr.

Werneburg: Einerseits hofft man ja auf solche Anekdoten. Was wäre der Mythos des Journalismus und der Mode wert ohne sein Bettgeflüster und seine Abgründe. Andererseits faßt Altman die politisch brisanten Themen nicht an. Der schwarze Art Director der amerikanischen Vogue, André Leon Talley, müßte eigentlich Chefredakteur werden; er wird es aber nicht, weil in Amerika ein Schwarzer keine weißen Frauen anzieht.

Niroumand: Das finde ich nun wieder keinen okayen Anspruch an so einen Film. Ich hätte es ja im Gegenteil gut gefunden, wenn Altman mal auf alles Gegreine und alle Modernitäts- und Weiberkrititik verzichtet hätte und einfach geschwelgt hätte in seinen Namen, den Stoffen, den kleinen und großen Gesten, Sophia Lorens phantastischer Grandezza, mein Gott, diese Loren in Schwarz mit einem landesweit knallenden roten Hut!

Werneburg: Was mich interessieren würde, ist, warum Lagerfeld nur der Höflichkeit halber gefragt wurde, ob er mitmachen will. Alle waren dabei, Gaultier, Rykiel, Lacroix, Westwood, Montana, Mugler, Gianfranco Ferré, Valentino – klar, daß Karl der Große dann pampig wird?

Niroumand: Jaaaaa! Lagerfeld wollte wohl nicht mitmachen, weil er es nicht mag, die Kontrolle einem anderen Herrn zu überlassen. Das Lustige ist, daß – neben unzähligen anderen Herrschaften – Robert De Niro nachgerade um eine Rolle gebeten hatte. Zöpfchen genug hätte er ja ... Aber sag mal. Altmans Modebranche ist doch eine Schwulenbranche. Was sollte das mit Danny Aiello, der ein gemeiner Langweiler ist, aber nach Feierabend in Frauenkleidern einhergeht? Oder der Affäre zwischen Forest Whitacker und Richard E. Grant, war das nicht die reine Südstaaten-Sitcom?

Werneburg: Oh, oh! Blöderweise fällt mir dazu ein, daß ein Freund von mir, Physiker in der Spitzenforschung, mir erzählt hat, es gäbe nirgendwo so viele Schwule wie bei den Mathematikern und Physikern auf dieser Ebene. Das nur zu Vorurteile und Irrtümer.

Niroumand: Ich finde, wenn man den Film im Schnelldurchlauf auf seine Grundlinie hin betrachtet, ergibt sich so was wie: Opulenz, Geflirr, Rausch – nacktes Endbild. Oder auch Luxus, Sex – Strafe. Eine Kritikerin hat die nackte Schlußparade auch direkt an die Selektionsprozesse in Auschwitz erinnert; soweit muß man nicht mal gehen, um dieses Grundmuster von Schwelgen – Strafen, Mutter lieben – Kastration zu beobachten.

Werneburg: Bei der Kritikerin würde ich denken, daß das Klischee „nackte Frau = Opfer“ dahintersteht. Ich denke, daß diese Models sehr selbstbewußt laufen, das ist für mich eher eine ironische „Pride-Parade“, keine Verführung, etwas Stolzes.

„Prêt-à-porter“, Chefmaske: Judith Gayo, Jaques Clemente, Schnitt: Geraldine Peroni, Ausstattung: Stephen Altman, Kostüm: Catherine Letterier, Kreativkonsultation: Nathalie Rykiel. USA, 1995