Wir schreiben den 27. März 2048. Die Klimapolitiker haben ihr Ziel aus dem vorigen Jahrhundert erreicht: 80 Prozent weniger CO2-Ausstoß als 1990 durch 80 Prozent weniger Energieverbrauch. Aber wie leben unsere Enkel und Urenkel in solch ozon- und ressourcenschonenden Zeiten? Von Felix Berth und Hans-Hermann Kotte

Klimakiller – gegen Benutzung gesichert

Carla Grasmeier (21) suchte ein Geburtstagsgeschenk für ihren Freund. Schick waren im Moment wieder mal Antiquitäten aus der Zeit der Jahrhundertwende, und so stand sie nun in dem Laden in Münchens Maximilianstraße. Die Antiquitätenhändlerin hatte kurz Carlas Gehalt geschätzt und dann ein Bügeleisen empfohlen: „Ein wirklich schönes Stück aus dem Jahr 2007. Soll ich Ihnen die Funktion erklären?“

Carla lehnte ab, so ungefähr konnte sie es sich vorstellen. Schließlich hatte auch ihre Oma erzählt, wie sie damit jede Woche versucht hatte, Hemden und Blusen glatt zu kriegen. Sie nahm das schwere Teil in die Hand und ließ das dicke Stromkabel herunterfallen. Ganz klein an der Seite entdeckte sie auch die Leistungsangabe: 2.000 Watt, stand da. Damit kann man heute ein paar Wohnungen heizen, dachte sie amüsiert und strich mit der Hand über ihr knittriges T-Shirt. Merkwürdig, was frühere Generationen doch für Konventionen hatten.

Gleich daneben standen ähnlich seltsame Stromfresser: eine elektrische Saftpresse, drei elektrische Rasierapparate, ein elektrisches Gebläse zum Haaretrocknen und eines, mit dem mal ganze Zimmer geheizt werden konnten – alle gut sichtbar mit einem Siegel des Energieministeriums gegen Benutzung gesichert. Aber das klobige Design der meisten Geräte schreckte Carla ab.

Enttäuscht schlenderte sie Richtung Ausgang, da entdeckte sie neben der Kasse schließlich das passende Geschenk: Eine runde, gläserne, zerbrechlich wirkende Glühbirne. Vorsichtig nahm sie das Ding in die Hand. Es sah ja schon aus, als sei es nur gebaut, um möglichst schnell kaputtzugehen. „Diese Birne produziert tatsächlich mehr Wärme als Licht“, sagte die Antiquitätenhändlerin neben ihr. Fünfhundert Ecu, das war auch ganz erschwinglich, dachte Carla. Und das Design würde ihrem Freund gefallen. Sie zahlte, und die Verkäuferin fragte freundlich: „Haben Sie Ihr wiederverwendbares Geschenkpapier mitgebracht?“

Alexander Merkl (32) freute sich über seine neue Wohnung. Achtundzwanzig Quadratmeter Neubau in der Frankfurter Innenstadt, das hatte schon was von Luxus. Ein paar Bekannte hatten ihn anfangs zwar für verrückt erklärt, als er das Ding kaufen wollte – 300.000 Ecu seien glatter Wahnsinn, hatten sie gesagt. Doch die Wohnung war wirklich sein Traum: optimierte Solaranlage auf dem Dach und eine perfekte Lage in Frankfurts City, so daß Alexander nicht mehr mit vollen Bussen fahren mußte, sondern alles per Fahrrad oder zu Fuß erledigen konnte.

Außerdem würde die Wohnung sich langfristig sogar lohnen. Denn seit die Mieten quasi Nebenkosten waren und der Hauptteil für die Energie draufging, machte sich eine Investition in ein energiesparendes Haus schnell bezahlt.

Nun also die ersten Minuten im neuen Heim. Alexander war tatsächlich ein bißchen aufgeregt. Er klopfte gegen die sechzig Zentimeter starken Mauern und wanderte durch seine beiden Räume. Die Fenster waren mit ihren zwanzig mal zwanzig Zentimetern schon etwas klein, aber ziemlich energieeffizient. Er sperrte die Tür zur Gemeinschaftsküche auf. Mit drei Fremden würde er die Küche teilen müssen – aber auf den ersten Blick waren sie ja ganz sympathisch gewesen, machte er sich Mut. Da hinten standen die Gemeinschaftsgeräte: Spüle, Geschirrschrank, die Kühlecke in der Wand und – nicht mehr ganz zeitgemäß – eine eigene Waschmaschine. Ein bißchen leblos sah alles noch aus, aber das würde sich ja bald ändern.

Und seine Wohnung hatte sogar noch den Hauch von Exklusivität. Denn der fünfstöckige Wohnblock mit dem großen Innenhof war dort gebaut, wo bis vor kurzem die letzten Frankfurter Hochhäuser gestanden hatten: die Doppeltürme der Deutschen Bank. Als die Bank die Energierechnung für die Klimaanlage nicht mehr bezahlen konnte, wurden die Türme abgetragen. Alexander war damals sogar unter den Schaulustigen – und ein Satz des Oberbürgermeisters Jerry Kaisers ging ihm nicht aus dem Kopf: „Heute verschwindet eines der irrwitzigsten Denkmale des letzten Jahrhunderts; es hatte tatsächlich eine Klimaanlage und eine Tiefgarage.“ Alexander mußte grinsen.

Daniela Ringstorff (18) setzte das Nachtsichtgerät ab und nahm das elektronische Notizbuch aus der Satteltasche ihres Fahrrads. „Die Asos sind raus jetzt!“ Auf dem grobkörnigen Bild hatte die Klimadienstleistende eine Gruppe von sechs ungehobelten kriminellen Asozialen gesehen, die gerade die große Villa verließen. Sie trug das nun leerstehende Einzelhaus, ein energiefressendes Ex- Statussymbol, in die Liste der zur Eliminierung freien Objekte ein.

Das Haus war von seinen ursprünglichen Besitzern aus steuerlichen und Imagegründen längst aufgegeben worden. Sie waren in eins der „integrierten“ Innenstadtviertel gezogen. Doch nahezu jede dieser Villen wurde sogleich von radikalen Mittelständlern besetzt, jenen rachsüchtigen Modernisierungsverlierern des Klimaschutzzeitalters.

„Recyclingtrupp Grunewald- Babelsberg, bitte anrollen!“ Daniela gab den Pflichtdienstleistenden, Frauen und Männern im Teenie- und Twen-Alter, flüsternd den Einsatzbefehl. Sie würden die Asos festnehmen und das Haus in wenigen Stunden vollständig abtragen. Dabei wurden nur Muskelkraft und Schallkanonen der Bundeswehr eingesetzt – Bakterien und Sprengstoff waren nicht ozonschonend genug. Den vor dem Haus parkenden Oldtimer, ein sogenanntes Drei-Liter-Auto, würden die Pflichtdienstleistenden fahruntüchtig machen und erst später abtransportieren.

Mit Befriedigung betrachtete Daniela Ringstorff den Beginn der Demontage. Nur einmal hatte sie noch einen schwachen Moment. Nicht etwa als die schönen riesigen Glasfenster zerlegt wurden. Nein, es war, als der Grill von der Veranda in die Handpresse für Metall gelegt wurde. Da dachte sie wehmütig an den Geruch von Holzkohle, an Steaks, an die längst ausgestorbenen Würstchen aus Fleisch. Doch sie riß sich zusammen, stieg auf das Fahrrad und fuhr zum nächsten Objekt.

Ariane Levin (61) faltete den Leichtmetall-Roller zusammen, verstaute ihn im Rucksack und betrat den Low-Tech-Shop für strapazierfähige Güter. Der Laden war nach Dieter Rams benannt, einem Designer des vorigen Jahrhunderts („Gutes Design ist langlebig“). Einst, im ausgehenden Konsumzeitalter, hatten hier am Potsdamer Platz in Berlin noch mehrere, bis zu fünfzehnstöckige „Gallerias“ gestanden. Später waren die künstlich klimatisierten Gebäude abgetragen worden, weil die Sanierungskosten zur Anpassung an die neue Baugesetzgebung zu hoch gewesen wären.

Ariane Levin suchte die Abteilung für handbetriebene Küchen-, Garten- und Sanitärgeräte auf. Der Bewegungsmelder schaltete automatisch das Licht in den Regalen, an denen sie vorbeiging, ein und aus. Das sparte Energie und ließ beim Flanieren schwerlich Kaufhausgefühle aufkommen. Als sie gerade die neue Espressomühle mit Ziehharmonikatechnik und die Humustoilette passiert hatte, kam ihr auch schon Christian van Hoddis entgegen. Er arbeitete hier als Kassenhilfe, um damit die Herausgabe eines elektronischen Satiremagazins mit dem Titel Estonia zu finanzieren. Ariane kaufte ihre Estonia-CD am liebsten bei Christian selbst. Schließlich war das Magazin nicht an jedem Kiosk zu bekommen. Eine Ultraschall- Shampoonette bitte, scherzte sie. Christian schob ihr die CD über den Ladentisch.

Zu Hause am Computer bog sich Ariane vor Lachen. Klasse, wie hier mal wieder der staatliche Schulunterricht in „ressourcenschonender Lebensweise“ hochgenommen wurde: „Ressentimentgeladene Lebensweisheiten“ lautete die Überschrift. Als nächstes folgte ein Aufruf zum Fleischverzehr, der unter HaustierbesitzerInnen sicher für Aufruhr sorgen würde. Weniger witzig fand sie die in der Estonia-Rubrik „Brühwarm“ verbreiteten Tips zur Manipulation von Stromzählern, Thermostaten und Kilometerzählern. Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, bei ihrem Führungsoffizier von der Energiesicherheit, der ESI, anzurufen. Doch dann ließ sie es lieber und blätterte weiter.

Sebastian Richter (51), Gymnasiallehrer für ressourcenschonende Lebensweise, für Deutsch und Energiegeschichte, saß um sieben Uhr morgens beim Frühstück in der Gemeinschaftsküche. Noch war er allein, und noch konnte er in Ruhe die Nachrichten lesen.

Sicher, ein bißchen Mühe machte es ihm schon, daß jetzt auch die Zeitungen papierfrei erschienen, weil Zellstoff teuer und die Papierproduktion unerschwinglich geworden waren. Doch das hatte auch einen Vorteil: Sebastian Richter konnte nun jeden Morgen neu entscheiden, welche Zeitung er auf dem Bildschirm haben wollte. Und zahlen mußte er nur die Zeit, die er tatsächlich las.

Er entschied sich – aus Nostalgie – für die taz, die einzige Zeitung, die seit dem 20. Jahrhundert noch erschien. Alle anderen Traditionszeitungen hatten Pleite gemacht. Sebastian begann zu lesen, und nach einem Bericht „Bundeskanzler ehrt Klimaforscher“ folgte unter der Überschrift Stromfresser organisieren sich eine eher beängstigende Nachricht: Dortmund (dpa) – Eine neue, rechtsradikale Partei ist gestern in Dortmund gegründet worden: der Bund für Stromfreiheit. Die Partei, die vom charismatischen Franz Mieshuber ins Leben gerufen wurde, will sich vor allem für niedrige Strompreise einsetzen. „Wir sehen nicht mehr ein, daß wir in einer Stromspar-Tyrannei leben“, rief Mieshuber seinen dreihundert Anhängern zu. Sein Ziel sei, den Strompreis wieder auf das Niveau von 2005 zu senken. Es sei unsozial, so Mieshuber weiter, „wenn sich nur noch fünf Prozent der Bevölkerung ein Car-sharing-Auto leisten können“. Nach einer Untersuchung von infes, dem Institut für angewandte Energieforschung, könnte der Bund für Stromfreiheit bei der nächsten Bundestagswahl etwa drei Prozent der Stimmen erreichen. Anhänger seien, so infes, vor allem in den einkommensschwächeren Gruppen zu finden, die mittlerweile bis zu vierzig Prozent ihres Einkommens für die Energierechnungen zahlen.

Angewidert schaltete Sebastian Richter die Zeitung aus.

Peter Fuchs (47) haßte seinen Job. Den Kopf in beide Hände gelegt, gab er mit teilnahmsloser Stimme seine Bestellung beim Barkeeper ab: einen bei Niedrigtemperatur gebrannten Gin mit Tonic. „Na, heute war wohl schon wieder vorm Frühstück eine Attacke fällig?“ fragte der Barmann, der die Probleme des Lufthansapiloten, eines seiner Stammkunden, nur zu gut kannte. Tja, das stimmte. Bereits um 4.45 Uhr hatte ein erster obszöner Anruf der autonomen Flugverkehrsgegner den Piloten geweckt. Später entdeckte Fuchs, daß auch sein Briefkasten und das Leichtbaufahrrad schon wieder abgefackelt worden waren. Und auch an seinem für die gesamte Hausgemeinschaft einsehbaren Stromzähler hatten sie wieder herumgefummelt; sie wollten ihn an den Pranger stellen.

Im Erdgasbus sah ihm niemand offen ins Gesicht, von der langen Rückbank pöbelten ihn eine paar militante Pensionäre fies an: „Steig aus, Klimakiller, du faules Melanom!“ Diese Arschlöcher. Hielten sich für was Besseres, weil sie aus angesehenen, uralten Umweltberater-Dynastien kamen. Bildeten sich was darauf ein, damals die Superschnellzüge ICE und Transrapid mit abgeschafft zu haben.

Daß sein Sozialprestige noch weit unter dem der früheren Müllmänner, Recyclingsortierer und Putzfrauen lag, hätte er ja noch verkraftet. Auch seinen miesen, für die letzten Linienpiloten typischen Monatslohn. Doch diese ständigen Angriffe ... Sogar die Polizei mischte sich nicht mehr ein, auch in ihren Reihen wurde die Zahl der Flugverkehrsgegner immer größer. „Glauben die denn, ich hätte mir diesen Job ausgesucht?“ stöhnte er, und der Barkeeper schüttete nach. „Ich war dauerarbeitslos, und meine katastrophal wärmegedämmte Nostalgie-Wohnung wurde gesperrt, was sollte ich tun?“

Peter Fuchs trank aus, bezahlte und nahm den Bus nach Hause. Vor dem Schlafengehen würde er sich noch einen dieser harmlosen Science-fiction-Filme vom Ende des vergangenen Jahrhunderts ansehen. Darin wurde der Pöbel abgeschlachtet, zu kleinen grünen Plätzchen verarbeitet und dann wieder an den Pöbel verfüttert. Zu diesen rührend-naiven Bildern würde Peter Fuchs sich in seinen Flugsimulator setzen und ein bißchen weinen.