Chance, Profil als Bürgerrechtspartei zu schärfen

■ Kerstin Müller, Fraktionssprecherin der Bündnisgrünen im Bundestag, über grüne Sparwut in Hessen, über klassische Ressorts und den „Eiertanz“ der Bundes-SPD

taz: Frau Müller, die rot-grünen Koalitionsverhandlungen in Hessen sind abgeschlossen. Was ist aus bündnisgrüner Bonner Sicht ein Erfolg, was ist schiefgelaufen?

Müller: Sehr gut ist, daß wir durch die Übernahme eines klassischen Ressorts, der Justiz, über unsere ureigene Kompetenz in Umweltfragen hinauswachsen konnten. Wir haben auch den Anspruch manifestiert, als Partei der Bürgerrechte und Demokratie die FDP zu beerben. Problematisch finde ich, daß die Verhandlungen vor dem Hintergrund enger Finanzspielräume stattfinden mußten.

Stimmen denn die Akzente der hessischen Sparpolitik?

Was die Zusammenlegung von Ministerien angeht, sicher. Ich finde die Reduzierung von zehn auf acht richtig. Daß wir dabei die Ressorts Justiz, Soziales und Umwelt bekommen haben, ist ein Erfolg. Daß weitere Kürzungen allerdings für Schulen und Hochschulen vereinbart wurden, halte ich für problematisch. Aber ich möchte da nicht von Bonn aus Dinge kommentieren, die in Hessen womöglich anders aussehen.

Das Ressort Umwelt wird jetzt von der Familienministerin Blaul sozusagen mitverwaltet. Brechen die Grünen in klassische Ressorts wie die Justiz um den Preis ein, daß sie ihre Kernthemen Umwelt oder Frauen hintanstellen?

Wenn das die Alternative wäre, dann wäre das natürlich schlimm. Nein, wir behalten unser Politikfeld Umwelt und gewinnen die Möglichkeit hinzu, unser Profil als Bürgerrechts- und Demokratie- Partei zu schärfen. Das ist eine Riesenchance. Wir haben ja auch in Bonn auf den Vorsitz des Umweltausschusses verzichtet und statt dessen den Vorsitz des Petitionsausschusses übernommen. Beides ist oft überbewertet worden: Weder ist ein Ausschußvorsitz der alles entscheidende Posten, noch haben wir die Umweltpolitik für die Bürgerrechte drangegeben. Dieser neue Akzent war aber – ebenso wie Antje Vollmers Vizepräsidentschaft – Symbol dafür, daß wir uns die ganze Politik erobern wollen. Und Politik wird eben auch über Symbole gemacht.

Kommentatoren attestieren den Bündnisgrünen bereits, sie seien „ganz andere Machtspieler“ als die verschlissenen Sozialdemokraten. Stimmt das?

Wir haben uns fest im Parteienspektrum etabliert, wir sind in Bonn die drittstärkste Kraft, und wir beanspruchen die Oppositionsrolle für uns. Ich glaube, das nimmt man erst sehr allmählich zur Kenntnis. Was bei anderen als normal gilt, wird bei uns mit Erstaunen diagnostiziert.

In Frankfurt hat Rot-Grün abgewirtschaftet, in Wiesbaden wird es landesweit als Erfolgskonzept verkauft. Was stimmt denn nun?

In Bund und Ländern ist die SPD für uns eines der zentralen strategischen Probleme. Rot-Grün in Frankfurt ist vorerst gescheitert, weil die SPD sich selbst demontiert und damit auch ein politisches Projekt – und das, ohne für diese Demontage ein Argument zu benennen. Die SPD muß sich endlich zu einer klaren Bündnisaussage durchringen. Statt dessen führt sie einen Eiertanz auf. Ob wir hier in Bonn zum Beispiel die Vizepräsidentin des Bundestags stellen wollen oder einen Antrag zur Kurdenfrage formulieren – die SPD versucht sich abzugrenzen, statt klar zu sagen: Wenn wir den Machtwechsel wollen, dann kann er nur mit Rot-Grün gelingen. Aber nach 15 Jahren glauben die Sozialdemokraten noch daran, daß wir oder unsere Wähler verprellte Kinder der Sozialdemokratie sind und sie uns noch zurückbekommen könnten. Daß sie sich nicht klar auf uns als drittstärkste Kraft einstellen, hat uns meines Erachtens schon den Machtwechsel bei der letzten Bundestagswahl gekostet. Ich fürchte, die SPD verspielt ihn langfristig, wenn sie so weitermacht. Interview: Andrea Dernbach