Penthesilea in der Regentonne

■ Es plitschert und plätschert: Heinrich von Kleist aus Reclamheften, ein deutsch-polnisches Theaterprojekt unter der Regie von Henryk Baranowski

Am Anfang war das Reclamheft. Einige junge Männer. Schwarze Anzüge, weiße Hemden und einige junge Damen; wie bei einer Leseprobe, an Schminktischen sitzend, tragen sie mit wechselnden Rollen zuerst deutsch aus den Reclamheften, dann polnisch aus den Rollenbüchern vor. Immer etwas stockend, überlaut, befremdlich distanziert. Wie Oberschüler, denen der Lehrer befiehlt: Vorlesen!

Die deutsche Gruppe, rekrutiert aus einem Seminar des Künstlerhauses Bethanien, hat sich zu einer modernen Interpretation entschlossen. Die Priesterin der Diana hantiert mit Reagenzgläsern, in denen vielleicht Parfüm, vielleicht aber auch Samen für künstliche Befruchtungen der Frauen des Frauenstaates gewonnen wird. Die polnisch sprechenden Darsteller, Schauspieleleven aus Krakau, haben derweil im Kostümfundus Turmperücken und Reifröcke entdeckt und zeigen nun die Rokokovariante. Sie führen ihre männlichen Opfer am berühmten Gängelband mit hochherrschaftlicher Gestik herein und tauschen silberne Rosen.

Polen und Deutsche gemeinsam illustrieren später den ersten großen Dialog zwischen Penthesilea und Achill, aber sie reden nicht etwa miteinander, sondern eher gegeneinander. Der Reclam-Klassiker Heinrich von Kleist, Band Nr. 1305 der Universal-Bibliothek, bleibt ihnen und den nicht vollkommen textsicheren Zuschauern an diesem Abend fremd.

Um Mißverständnis, Täuschung geht es ja eigentlich auch bei Kleist. Penthesilea und Achill, die Amazone und der Grieche, zwei Kulturen, mißverstehen sich. Sie glaubt, Siegerin des Zweikampfes zu sein, er glaubt, sich ihr waffenlos zum Kampf stellen zu können. Ein tödlicher Irrtum, denn bekanntlich verwechselt Penthesilea Küsse und Bisse. Im Podewil geht es um die Inszenierung der Distanz zu einem Klassiker, der in Deutschland selten, in Polen jetzt das erste Mal auf die Bühne gelangte.

So verständlich die Interpretation der Kleistschen Mißverständnisse ist, so unverständlich sind dann doch die allzu verständlichen Bilder, die der polnische, seit zehn Jahren vorwiegend in Berlin arbeitende Regisseur Henryk Baranowski entwirft. Seine Hauptattraktion auf der Bühne ist ein flaches Wasserbecken, das durch Spiegel an der Decke allerlei Lichteffekte und Täuschungen verursacht und alle paar Minuten von den Akteuren langsam und bedeutungsvoll durchwandert wird. Das sagt zwar nichts, aber auch gar nichts über das Stück oder das Projekt, aber es ist immerhin eine hübsche plitsch- plätschernde Wassermusik. Und wenn dann noch Kerzen dutzendweise flackern und eine Geige schmalzt, dann entsteht bei dieser Veranstaltung, Teil der Kulturbrücke „grenzenlos Warschau– Berlin“ eine Atmosphäre, die international bekannt ist, grenzenloser Kunstkitsch.

Wenn die deutsch-polnische Koproduktion dann auch noch versucht, Schlüsselszenen der Penthesilea präzis zu bebildern, kippt der Kitsch regelmäßig um in Komik, das vermeintlich Erhabene rutscht ins Banale. Da liegt beispielsweise Achill, mit Salz bestreut und scharf gemacht, auf einer Art Abendmahltisch vor den Frauen, die ihn zum Fressen gern haben. Und der Tod Penthesileas durch ein „vernichtendes Gefühl“ in ihrer Brust inszeniert Baranowski verblüffend lapidar: Vier Penthesileen sagen trocken: „So, es ist gut“, und bekommen eine rostige Regentonne übergestülpt. Am Ende rollt Achill plitsch-plätschernd durch das Wasser (das vielleicht den Amazonas symbolisiert) und bleibt ganz nah bei den Zuschauern liegen. Das Gesicht des Schauspielers, das eigentlich den Charakter der Kleistschen Figur enthüllen müßte, ist verdeckt. Mit einem gelben Reclamheft. Dirk Nümann

„Penthesilea“ von Heinrich von Kleist. Deutsch-polnische Theaterwerkstatt. Regie: Henryk Baranowski. Podewil, Klosterstraße.