Bayerns Polizei jagt Fariz Simsek

■ Kurde sollte gestern abgeschoben werden, da die Türkei ausreichend für seine Sicherheit garantiere

Nürnberg (taz) – Achtzehn Stunden vor Ablauf der Ausreisefrist setzte das bayerische Innenministerium Polizeieinsatzkräfte in Bewegung, um den Kurden Fariz Simsek in Abschiebehaft zu nehmen. Gegen 6 Uhr morgens stürmten zwanzig Polizisten die Wohnung der Familie Simsek in Aystetten bei Augsburg. Sie traten die Türen ein und durchwühlten die Wohnung. Da sie den 29jährigen Kurden nicht antrafen, zogen sie unverrichteter Dinge wieder ab. Das vom bayerischen Innenministerium gecharterte Flugzeug flog mittags ohne Simsek nach Istanbul. An Bord waren fünf andere Abschiebehäftlinge – vier Kurden und ein Türke. Bis Redaktionsschluß stand nicht fest, ob Simsek sich der drohenden Abschiebung mit der Abendmaschine erfolgreich entziehen konnte.

Schon mehrfach hatte das bayerische Innenministerium versucht, den Kurden abzuschieben, dem man vorhält, an den Auseinandersetzungen zwischen Kurden und der Polizei im März letzten Jahres in Augsburg beteiligt gewesen zu sein. Zweimal mußte bereits das Bundesverfassungsgericht intervenieren, um eine Abschiebung vor allem angesichts der Suizidgefährdung Simseks zu verhindern.

Simsek war in der Türkei nachweislich gefoltert worden und hatte immer wieder angekündigt, sich im Falle einer Abschiebung umzubringen. Amnesty international hatte den Fall Simsek zur weltweiten „Urgent Action“ erklärt. Noch in der letzten Woche hatten die Karlsruher RichterInnen zwar eine Verfassungsbeschwerde des Kurden für unzulässig erklärt, ihm aber gleichzeitig zu verstehen gegeben, er solle von einem Verwaltungsgericht prüfen lassen, ob die Zusicherungen der Türkei für abgeschobene KurdInnen auch für ihn gelten.

Im bayerischen Innenministerium beruft man sich jetzt auf einen Brief des türkischen Botschafters Onur Öymen in Bonn. Demnach drohe Simsek in der Türkei keinerlei Strafverfolgung und er besitze alle nach den türkischen Gesetzen bestehenden Rechte. In Kenntnis dieses Schreibens wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof gestern mittag eine Beschwerde gegen den Sofortvollzug der Abschiebung zurück. „Damit sind die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts erfüllt“, rechtfertigte Christoph Hillenbrand, Sprecher des bayerischen Innenministeriums, den Abschiebeversuch.

„Wir wollten hier polizeitaktisch so vorgehen, daß man Herrn Simsek überraschend festnimmt, damit jede Gefahr eines Suizids oder irgendeiner anderen Affekthandlung ausgeschlossen ist“, begründete Hillenbrand gegenüber der taz den Polizeieinsatz. Man habe dem Kurden den Brief des Botschafters eröffnen und ihm die Möglichkeit geben wollen, sich „in Ruhe von seinen im Krankenhaus befindlichen Kindern verabschieden zu können“. Im Moment habe man ihn jedoch nicht, er sei „wohl untergetaucht“.

„Völliger Schmarrn“, kontert Simseks Rechtsanwalt Ralph Keysers. Simsek könne sich bis Mitternacht im gesamten Landkreis Augsburg aufhalten, er müsse nicht zu Hause bleiben. Keysers wartet nun auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Ansbach. Dort hatte er eine sechsmonatige Duldung für Simsek beantragt. Die Auflagen des BVG betrachtet Keysers als nicht erfüllt. „Da muß es eine Vereinbarung von Außen- und Innenministerium geben und nicht irgendeinen Brief des türkischen Botschafters.“

Aufgrund des Polizeieinsatzes erlitt Frau Simsek einen Nervenzusammenbruch. Sie ist derzeit wegen des Krankenhausaufenthalts ihrer Kinder nicht von Abschiebung bedroht. Nach ihrem Mann wird seit gestern europaweit gefahndet. Bernd Siegler/Christian Rath

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