Abgepaßt und abgeschoben

Die Abschiebung einer 13jährigen Schülerin aus Makedonien empört MitschülerInnen und Lehrer  ■ Aus Illerbeuren Klaus Wittmann

Am Mittwoch beteiligte sie sich noch lebhaft am Unterricht. Am Donnerstag blieb ihr Platz in der Schulklasse frei. Selvets MitschülerInnen dachten alle, die 13jährige sei krank. Dann aber berichtete Fuat, was er am Mittag zuvor miterlebt hatte: Selvet war auf dem Heimweg ein paar Schritte vor ihm im Asylbewerberheim angekommen. „Da ist ein Auto gekommen, ein BMW. Keiner hat bemerkt, daß es Polizei ist. Die haben keine Uniformen angehabt. Ein Mann hat sie rausgeholt aus dem Haus, hat sie ganz fest am Arm gepackt und ins Auto geschoben. Dann sind sie weggefahren.“

Selvet Z. wurde zusammen mit ihrer Familie abgeschoben – nach Skopje, in ihre Heimat, in der sie der türkisch-muslimischen Minderheit angehört. Von Amts wegen ein völlig alltäglicher Vorgang. Nachdem alle Asylanträge abgelehnt worden seien, so Oberregierungsrätin Ulrike Klotz vom Landratsamt in Mindelheim, sei die Familie seit dem 24. September 1994 „ausreisepflichtig“ gewesen. Doch die Familie kam der Verpflichtung nicht nach, daher mußte gehandelt werden. Die Abschiebung, so Klotz, sei unumgänglich gewesen.

Selvets Vater wurde für einen Tag in Sicherungshaft genommen. Selvet selbst wurde nicht im Gefängnis in Memmingen untergebracht, sondern bis zur Abschiebung in einem Memminger Kinderheim. Dann seien Vater und Tochter zusammen mit der Mutter und zwei weiteren Kindern, die sich illegal in Kassel aufgehalten hätten, in ihr Heimatland geflogen worden.

Sechs Jahre hat die dunkelhaarige Selvet in Illerbeuren gelebt. Bei ihren KlassenkameradInnen war das Mädchen aus Makedonien ausgesprochen beliebt. „Sie hat am Wochenende noch bei uns übernachtet, sie hat einfach zur Familie gehört, war praktisch wie eine Schwester“, erzählt Yvonne Baumgärtner. Die ganze Familie hatte die 13jährige ins Herz geschlossen.

Niemand in Illerbeuren habe damit gerechnet, daß so etwas in ihrem Dorf passieren könnte, meint auch Yvonnes Mutter. „Die wurde regelrecht vom Bus abgepaßt und entführt.“ So könne man doch nicht mit einem Kind umgehen, kritisiert Petra Baumgärtner das unsensible Vorgehen der Behörden. „Sie hatte keine Möglichkeit, ihre Sachen zu packen, sich zu verabschieden. Niemand war dabei, als die Polizei sie wegschleppte. Das geht doch nicht“, empört sich auch die Elternbeiratsvorsitzende Berti Huber.

Selvets Klassenlehrerin Irene Gromer sagt, sie sei bis heute nicht offiziell informiert worden, auch die Schulleiterin nicht. „Von uns wird zunächst das Einwohnermeldeamt informiert, und die geben das an die Schule weiter. Das kann schon einige Tage dauern“, erklärt dazu Ulrike Klotz vom Landratsamt in Mindelheim. Lehrer und Elternbeiräte, Schülerinnen und Schüler rätseln nun, was mit der 13jährigen und ihren Eltern wohl geschehen ist. Keiner hat bislang etwas von der Familie gehört, niemand kennt die neue Adresse in Makedonien. Die Beamtin im Landratsamt erklärt nur lapidar, ob sich die abgeschobenen Personen in ihrem Heimatort oder anderswo niedergelassen hätten, entziehe sich ihrer Kenntnis. Das könne die Familie doch selbst entscheiden.

Der 17jährige Bruder von Selvet ist noch in Deutschland – in einer Kasseler Klinik. In Kassel wurden auch andere Verwandte von Selvet und ihre Großeltern untergebracht, als sie vor sechs Jahren nach Deutschland kamen. Dann wurde der Großvater schwer krank, Herzinfarkt. Damals fuhr Selvets Vater ohne Erlaubnis einfach von Illerbeuren nach Kassel. Damit machte er sich strafbar. „Beim Landratsamt haben sie mir damals schon gesagt, das bricht dieser Familie das Genick“, erinnert sich Petra Baumgärtner.

Die Mädchen und Jungen aus Selvets Klasse wollen das Ganze nicht auf sich beruhen lassen. Abschiedsbriefe wollen sie Selvet schreiben. Aber wohin? „Die schicken wir dem Landratsamt, die sollen sie an Selvet weiterleiten“, schlägt einer vor. Ein Bub aus der sechsten Klasse will im Brief nachfragen, wie das war für Selvet, als sie von den Zivilpolizisten abgeholt wurde. Ein anderer möchte wissen, ob sie in ihrer Heimat, die sie nicht kennt und deren Sprache sie gar nicht spricht, schon Freunde gefunden hat. Ob Krieg ist bei ihr daheim. Ob sie schon eine Wohnung hat. Ob sie vielleicht einmal wiederkommt.