Ein bundeseinheitliches Transplantationsgesetz, das Ende April vorgestellt wird, soll die Akzeptanz für Organspenden wieder erhöhen Von Wolfgang Löhr

Das Organ-Modell

Fast täglich sind die Klagen zu hören: „Die Deutschen spenden zu wenig Organe.“ – „Immer mehr Personen verweigern die Organspende.“ Waren es 1991 nur 19 Prozent, die sich gegen eine Organentnahme bei einem verstorbenen Angehörigen aussprachen, stieg dieser Anteil im vergangenen Jahr schon auf 30 Prozent. Die Schuldigen waren schnell ausgemacht: „Reißerische Reportagen über ,Leichenfledderei‘, ,Organdiebstahl‘ und Entführungen zum Zwecke der Organentnahme führten zu einer erheblichen Verunsicherung der Bevölkerung“, heißt es zum Beispiel bei der Ärztevereinigung Marburger Bund. Für die Standesorganisationen der Ärzte, Betroffenengruppen und Transplantationsvereinigungen war klar: „Nur die Rechtssicherheit kann die Akzeptanz für Organspenden wieder erhöhen.“

Nachdem in der Vergangenheit zahlreiche Versuche zur Verabschiedung von gesetzlichen Regelungen gescheitert sind, scheint Gesundheitsminister Horst Seehofer den Weg für ein bundeseinheitliches Transplantationsgesetz jetzt freigemacht zu haben. „Ende April“, heißt es im Hause Seehofer, „wird der Gesetzentwurf vorgelegt.“ Über dessen wichtigste Punkte konnte sich die Regierungskoalition bereits einigen.

Vorgesehen ist, daß bei fehlender Erklärung des Verstorbenen immer dann Organe entnommen werden dürfen, wenn die nächsten Angehörigen entweder zugestimmt oder nach einer gesondert vereinbarten Frist keinen Widerspruch eingelegt haben. Bei diesem als erweiterte Zustimmungslösung bezeichneten Verfahren wird die „fehlende Erklärung des Organspenders weder als Ablehnung noch als Zustimmung gewertet, sondern lediglich als Nichterklärung“, beschreibt der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Dieter Thomae, das Verfahren. Die endgültige Entscheidung haben dann, so wie es derzeit auch ohne gesetzliche Grundlagen praktiziert wird, die nächsten Angehörigen. Nach Thomaes Angaben sei derzeit allerdings noch ein Streitpunkt, ob bei „nichtehelichen Lebensgemeinschaften“ der Partner ebenfalls mitentscheiden darf. Neu eingeführt werden soll eine „öffentliche Stelle“, bei der Zustimmungserklärungen von Organspendern gespeichert werden sollen. Diese können bei Bedarf ausschließlich durch die den Tod feststellenden Ärzte abgefragt werden.

Der Bedarf an gesetzlichen Regelungen für die Organspende steht außer Frage. Zu oft schon gerieten die Transplantationsmediziner mit fragwürdigen Praktiken in die Schlagzeilen. Und bereits seit 1979 stand das Transplantationsgesetz immer wieder auf der politischen Tagesordnung. Zum ersten Male scheiterte damals der Justizminister der SPD, Jochen Vogel, der sich für eine Widerspruchsregelung stark machte: Das Gesetz hätte es den Ärzten immer dann erlaubt, bei Verstorbenen Organe zu entnehmen, wenn von diesen zu Lebzeiten kein ausdrücklicher Widerspruch dagegen eingelegt worden ist. Einige Nachbarländer wie Östereich, Belgien und Frankreich verfahren nach dieser Regelung; auch in der ehemaligen DDR gab es ein entsprechendes Gesetz. Eine Neuauflage der Widerspruchsregelung gab es im vergangenen Herbst: Im Alleingang versuchte die sozialliberale Regierung in Rheinland-Pfalz diese Lösung mit einem Landesgesetz festzuschreiben, mußte das Vorhaben nach einem Proteststurm aber wieder abblasen.

Für viele Eingeweihte war dieses Vorpreschen völlig unverständlich, lag doch zur gleichen Zeit im Bundesrat ein gemeinsamer Gesetzentwurf der Länder Hessen und Bremen vor. Dieses Papier wiederum bevorzugte die Informationslösung, bei der die Entnahme von Organen erlaubt wird, wenn bei fehlender Erklärung des Verstorbenen die Angehörigen nicht innerhalb einer Frist widersprochen haben. Für eine noch engere Lösung hatte sich die Bundestagsfraktion der SPD ausgesprochen und in einem Antrag gefordert, daß bei fehlender Zustimmung des Spenders dessen Angehörige „im Sinne des Verstorbenen für oder gegen eine Entnahme“ entscheiden sollten.

Eine weitere Variante, die restriktive Zustimmmungslösung, wird voraussichtlich noch von der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen kommen. Dort werden derzeit die „Leitlinien“ für einen eigenen Gesetzesvorschlag vorbereitet. Geht es nach der gesundheitspolitischen Sprecherin der Grünen, Monika Knoche, so sollen Organentnahmen nur dann erlaubt sein, wenn der Verstorbene vor seinem Ableben ausdrücklich seinen Einwilligung dazu gegeben hat. Liegt keine Erklärung vor, soll selbst mit Zustimmung der Angehörigen nicht explantiert werden dürfen. Für Elvira Pichler, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Grünen, ist schon das ein Kompromiß. Das eigentliche Problem sei nämlich die Hirntod-Definition. Da nur lebende Organe verwendet werden können, ist die Transplantationsmedizin auf die Festsetzung dieses frühen Todeszeitpunkts angewiesen. Der Seehofer-Entwurf geht daher auch von der Rechtmäßigkeit der Hirntod-Definition aus. Zum ersten Mal überhaupt soll damit in einem Gesetz eine Todesdefinition festgelegt werden.

„Hirntod ist aber nicht schon tot. Wenn ein Organ versagt, kann man doch nicht von Toten sprechen“, wendet die Grünen-Mitarbeiterin ein. Deshalb könne nur jeder selbst entscheiden, ob er sich dieser Todesdefinition unterwerfen will. Pichler ist sich bewußt, daß dieses Zugeständnis eine Gratwanderung ist: Man müsse aufpassen und sicherstellen, daß damit nicht ein Tor für die Sterbehilfe auf Verlangen aufgestoßen werde.

Mitaufgenommen in den Seehofer-Entwurf für ein Transplantationsgesetz ist ein Verbot für den kommerzielle Organhandel. Bis zu fünf Jahren Haft ist für Personen vorgesehen, die einem Lebenden Organe entnehmen und damit Geschäfte machen. Strafbar ist der Organhandel für deutsche Staatsbürger auch, wenn die Tat im Ausland erfolgt. Patienten jedoch, die sich zum Beispiel in Indien ein Ersatzorgan für wenig Geld besorgen, brauchen keine Angst haben. Sie sollen auch weiterhin straffrei bleiben.