Tote ohne Zahl

■ Opferzahlen beider Seiten sind kaum festzustellen. ai versucht neue Bilanz.

Beinahe täglich werden in Algerien Journalisten, Intellektuelle und Künstler vermutlich von Islamisten ermordet. Und täglich kommen Meldungen von überfallenen Polizisten und in den Hinterhalt gelockten Militärs. Diese reagieren mit einer Offensive, die inzwischen sogar die Luftwaffe einbezieht. Von bis zu 30.000 Toten seit Beginn des Bürgerkriegs vor drei Jahren ist die Rede.

Aber das sind Schätzungen. Zählen kann die Opfer niemand. Im letzten Oktober veröffentlichte amnesty international einen letzten vorsichtigen Bericht. „Mindestens 700 angebliche militante Islamisten“ seien seit Februar 1992 von Regierungkräften getötet worden, 140 Zivilisten seien von beiden Seiten ermordet worden und 400 Mitglieder der Sicherheitskräfte hätten im Krieg gegen die Islamisten ihr Leben gelassen, hieß es darin.

Doch seit der Veröffentlichung des Berichts greifen beide Seiten zu noch brutaleren Mitteln. Schon vor Beginn der Offensive der Armee gegen die GIA schätzten aus Algier zurückgekehrte Beobachter, wöchentlich würden bis zu 1.000 Menschen getötet. In der algerischen Presse heißt es, bei der jüngsten Offensive seien 2.800 Islamisten getötet worden – Fakten oder Gerüchte? Einen neuen Versuch, das Grauen in Zahlen zu fassen unternimmt ai seit dem Wochenende. Erstmals seit Verhängung des Ausnahmezustandes durfte eine Delegation der Organisation das Land besuchen. Rechtzeitig zur angeblichen Vernichtung der GIA. Thomas Dreger