Die globale Hanf-Seilschaft

■ Siegeszug des wiederentdeckten Öko-Rohstoffs begann vor elf Jahren in Amerika

Alles begann Anfang der achtziger Jahre, als der Marihuana-Aktivist Jack Herer ein Flugblatt über Hanf als Nutzpflanze veröffentlichte. Aus dem Flugblatt wurde eine Broschüre, deren Seitenzahl sich mit jeder Neuauflage erweiterte. 1985 erschien sie erstmals als Buch: „The Marihuana-Conspiracy: The Emperor Wears No Clothes“. Heute, da Herers zum 500-Seiten-Werk gewachsenes Flugblatt ein internationaler Bestseller und „Bibel“ der neuen Hanfbewegung ist, reklamieren einige Cannabis-Experten die Pionierleistung für sich – damals aber wurde Herer von den Hanfologen nur milde belächelt.

Seine These, daß Hanf die beste Quelle für Papier, Kleidung, Nahrungsmittel, Baustoff und Medizin darstellt, wurde so wenig ernst genommen, wie sein Vorschlag, mit dieser Aufklärungs-Strategie die Prohibiton zu Fall zu bringen und eine neue grüne Industrie zu etablieren. Doch Jack Herer ließ sich nicht beirren, er gründete die Organisation Help Eliminate Marihuana Prohibiton (H.E.M.P.), um die Informationen über den Nutzen des Hanfs zu verbreiten. An seinem Info-Stand in Venice, der Strandpromenade von Los Angeles, war er 1990 auch der erste Händler in der westlichen Welt, der Hanfprodukte präsentierte.

Von dort breitete sich die Information über Hanf und seine vielfältigen Produkte in den ganzen USA aus, zahlreiche Hersteller machten sich daran, aus China importierte Hanfstoffe zu verarbeiten. In vielen Städten wurden Hemp-Stores eröffnet, und Jack Herers These vom überragenden Nutzen des Hanfs fand zunehmend Anerkennung – das Kiffer-Fachblatt High Times kürte ihn zum „Man of the Year“.

1992 schwappte die Hanfwelle über den Ozean – fünf Amerikaner gründeten mit dem C.I.A. (Cannabis In Amsterdam) den ersten Hanf-Infoladen in Europa, das dortige Hasch-Museum, bis dahin nur auf Dope fixiert, erweiterte seinen Blickwinkel auf die Nutzpflanze Hanf. Und in den letzten Hanfanbaugebieten in Ost-Europa wunderten sich die Bauern über den plötzlich einsetzenden Busineß-Tourismus. In Ungarn und Rumänien etwa war die Hanfindustrie als Relikt aus dem vorigen Jahrhundert mitgeschleppt worden. Die noch bestehenden Fabriken standen kurz vor der Schließung, weil mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch die letzten Großkunden für Hanfgewebe wegfielen.

Doch mit einem Mal tauchten wie aus heiterem Himmel Amerikaner und Westeuropäer auf, und der Nachfrageboom übertraf das spärliche Angebot bei weitem. Zumal Jack Herers Botschaft im Westen weite Kreise zog: Mit dem Erscheinen der deutschen Ausgabe des Buchs wurde 1993 das „HanfHaus“ in Berlin gegründet, „UK Hemp“ und „Green Machine“ in England begannen Papier und Textilien herzustellen, die „Schweizer Hanffreunde“ starteten erste Projekte zum Hanfanbau.

Waren es anfangs ausschließlich in USA aus chinesischem Hanf gefertigte Produkte, die in Europa auf den Markt kamen, hat sich die Situation mittlerweile umgedreht: „Obwohl die neue Bewegung und die Märkte für Hanf hier gestartet wurden, werden wir die führende Rolle nicht mehr lange behalten“, so Mary Kane, die Herausgeberin des Branchen-Blatts Hemp World. Den Grund sieht sie zum einen in der restriktiven US-Politik, die Anbau von Faserhanf, wie er in Europa außer in Deutschland jetzt wieder beginnt, verbietet; und zum anderen darin, daß Hanf in Europa ein ökologisches Thema ist und nicht völlig mit der Drogen-Legalisierung verbunden: „Die europäischen Hänflinge wissen Stoff von „Stoff“ zu unterscheiden. Auch wenn sie, wie in Amerika, durchaus auch Genießer sind, ist ihre Motivation zum Aufbau einer Hanfindustrie ökologisch begründet und nicht mit dem Recht zu Rauchen.“

Daß Europa die Amerikaner in Sachen Hanf überholt hat, wurde auf der großen Hanf-Messe Anfang März in Frankfurt deutlich: die innovativen Produkte kamen fast alle aus Holland, England oder Deutschland, bei den US-Herstellern gab es wenig Neues. Doch die Initialzündung, die vor 15 Jahren von Kalifornien ausging, schlägt weiter Funken rund um die Welt.

In Australien haben die ersten Hanf-Läden eröffnet und engagieren sich für den Wiederanbau, in Südafrika will die „Southern African Hemp Company“ das verteufelte „dagga“-Kraut zur Papier- und Textilherstellung nutzen, in Polen und Italien sind Übersetzungen der Hererschen „Hanfbibel“ in Arbeit, in Wien hat das „Österreichische Hanfinstitut“ die Wiederbelebung der alten Industrie in Angriff genommen.

Was vor kurzem noch viele für einen bekifften Pfeifentraum hielten – die Vision einer hanfgrünen Zukunftsindustrie –, hat sich zur globalen Seilschaft formiert. Jack Herer: „Treibhauseffekt oder Hanf – du hast die Wahl!“ Rolf Achteck