■ Ökolumne
: Mißbrauchte Idee Von Mohssen Massarrat

„Gemeinsame Umsetzung“ oder „Joint Implementation“ ist das neue Zauberwort globaler Klimaschutzpolitik. Einerseits liefern die Industriestaaten Technologien in osteuropäische Staaten und Entwicklungsländer, die dort zu komparativ niedrigeren CO2-Reduktionskosten führen. Andererseits können die Industriestaaten die so eingesparten CO2-Mengen auf die eigene CO2-Bilanz anrechnen. Damit würden, wird behauptet, Industrie-, Entwicklungsländer und die Umwelt gleichermaßen profitieren.

Die Ähnlichkeit dieses Instruments mit dem in der ökologischen Energiewissenschaft zum Allgemeingut gewordenen „Least Cost Planning“ ist verblüffend: Statt der Kosten der Energiebereitstellung, sollen die Kosten der Energiedienstleistung

minimiert wer-Foto: taz-Archiv

den. Tatsächlich

bedeutet aber Joint Implementation weit mehr als das. Es bedeutet für die Industriestaaten das zusätzliche Recht, durch den Export von CO2-Vermeidungstechnologien die entsprechende Emissionsmenge auf die eigene CO2-Bilanz anrechnen zu dürfen.

Fragt sich, wozu, wenn die Technologien zu marktüblichen Bedingungen transferiert werden? Deutsche Stadtwerke kämen auch nicht auf die Idee, ihre Least- Cost-Planning-Projekte von der Bedingung abhängig zu machen, ihre gesamte Energielieferkapazität beizubehalten. Ein derart ökologisch absurdes Ansinnen würde bei Umweltschützern zu Recht schallendes Gelächter auslösen. Den Strategen der Weiter-so-Fraktionen in den Industriestaaten scheint jedoch kein Versuch zu teuer zu sein, die ökologisch wie ökonomisch sinnvolle und ursprünglich für die nationale CO2-Vermeidung konzipierte Idee des Least Cost Planning in ihr Gegenteil zu verkehren. Der Pferdefuß ist offensichtlich: Joint Implementation eröffnet den Industriestaaten endlich die Chance, aus der Defensive als Hauptverantwortliche für den Treibhauseffekt herauszukommen, ohne CO2-Emissionen bei sich selbst reduzieren zu müssen. Joint Implementation ist ein Klimaschutzvermeidungsinstrument.

Daß richtige Ideen von interessierter Seite zum gegenteiligen Zweck instrumentalisiert werden, ist so alt wie jeder Macht- und Herrschaftsanspruch. Schlimm ist es, wenn es in der wissenschaftlichen Diskussion geschieht. Udo Ernst Simonis, Professor für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin, beschwört in seinem taz-Beitrag vom 31. März „Flexibilität und schnelles Handeln in der Klimapolitik“. Felix Christian Matthes vom Berliner Öko-Institut hat in der taz vom 14. März ausführlich begründet, warum Joint Implementation das Gegenteil von klimaschutzpolitischer Flexibilität und Effizienz ist. Simonis übersieht ferner weitere Auswirkungen, die niemand ignorieren sollte. Der Wettbewerb der Industriestaaten um CO2-Anrechnungsanteile würde sie aller Wahrscheinlichkeit nach dazu animieren, möglichst vielen Osteuropastaaten und Entwicklungsländern CO2-Vermeidungstechnologien anzuschwätzen, die ökologisch keinen Sinn machen. Durch den Export von effizienten Kraftwerken könnte beispielsweise der Anrechnungsanreiz dazu führen, daß zu viele Kraftwerke installiert würden und daß dadurch die CO2-Emissionen insgesamt wieder steigen. Solche Befürchtung sind keine Theorie, sondern angesichts der Realität in Osteuropa und in den Entwicklungsländern bittere Wahrheit. Der Wettbewerb der Industriestaaten um das Recycling von Petrodollars führte in den siebziger und achtziger Jahren zu gigantischen Rüstungsexporten in die Staaten am Persischen Golf, die bisher zwei Kriege, ökologische, ökonomische, kulturelle und menschliche Tragödien hervorriefen.

Nein, Joint Impelementation ist kein ökologisch ernst gemeinter Weg. Jedes Prozent Anrechnung auf die CO2-Bilanz der Industriestaaten ist eines zuviel und ein Schritt, Strukturänderungen bei sich selbst hinauszuschieben. Auch eine Anbindung an globale CO2- Emissionsrechte (Zertifikate) zur Finanzierung von CO2-Vermeidungstechnologien hilft nichts. Ihre historischen Eigentumsrechte an natürlichen Ressourcen brachten den Entwicklungsländern Dumpingpreise und Rohstoffimperialismus. Unter den bestehenden weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, der Auslandsverschuldung und den IWF-Strukturanpassungsprozessen, dürfte sich ein Zertifikatimperialismus hinzugesellen.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Uni Osnabrück