Schöne Aussichten für unbrauchbare Zyniker?

■ betr.: „Stolpe undiszipliniert“, „Der Bischof reagierte leicht unge halten“, taz vom 3. 4. 95

Vor 50 Jahren befand sich der für die militärische Abwehr konspirativ arbeitende Dietrich Bonhoeffer auf seinem Hinrichtungsweg von Buchenwald nach Flossenbürg, weil er am Umsturzversuch gegen Hitler beteiligt war.

Leute, die in der Regel jeden Vergleich der Nazidiktatur mit dem DDR-System ablehnen, sympathisieren mitunter damit, daß die Konspiration Manfred Stolpes mit der Bonhoeffers in einen Zusammenhang gebracht wird. Doch selbst wenn Stolpe auf einer Liste für potentielle Internierungslagerinsassen in der DDR stehen würde, wird ein genauerer Blick auf das konspirative Wirken Stolpes jedem Vergleich mit Bonhoeffer nur die diametralen Gegensätze aufweisen.

Meine Kirche hat also das Verhalten von Manfred Stolpe mißbilligt, aber trotzdem auf ein Disziplinarverfahren gegen ihn verzichtet. Daß diese Inkonsequenz den Eindruck vermitteln muß, daß das Böse gut genannt werden kann (siehe Jürgen Fuchs), darf nun keinen mehr wundern.

Wenn man sich die Begründung dieser Inkonsequenz anschaut, wird dieser Eindruck noch verschärft. Natürlich sind die guten Taten Stolpes irgendwie entlastend für die Gesamtbeurteilung, aber erst einmal schärfen sie den Blick auf den Verstoß.

Daß die Kirchenleitung in diesem Fall eine „Beißhemmung“ hat, erklärt sie selbst mit der eigenen Zurückhaltung, Manfred Stolpe zu DDR-Zeiten nach seinen Wegen gefragt zu haben. Aber – damals Manfred Stolpe direkt zu fragen: „Bist du die undichte Stelle bei uns“ – dies setzt ja ein Mißtrauen voraus, das eben gerade nicht herrschte.

Stolpe als Kirchenjurist wußte schon, warum er seine Kontakte gegenüber seiner Kirche verschwieg.

Es ist auch kirchenjuristisch nicht einzusehen, warum auf die Mißbilligung im Rahmen eines Disziplinarverfahrens verzichtet wurde. Der Wartestand des Kirchenbeamten Stolpe als solcher schließt weder eine Warnung, einen Verweis, die Herabsetzung des Wartegeldes noch die Entfernung aus dem Dienst aus. Trotz dieser fatalen Inkonsequenz wird der Brandenburger Landtag nicht umhinkönnen, seine Bewertung, daß die Aktivitäten Stolpes durch den kirchlichen Auftrag gedeckt waren, zu revidieren. Oder müssen wir die Hoffnung aufgeben, daß die Kirche zur Klarheit Bonhoeffers findet und Verwirrung entgegentritt? Schöne Aussichten für unbrauchbare Zyniker? Joachim Goertz, Berlin