Berliner Kartellamt sauer auf Kollegen in Brüssel

■ Deutsche Industrie verlangt Anpassung der deutschen Gesetze an die EU-Praxis

Berlin (taz) – Nirgendwo in Europa wird dem Wettbewerb ohne Monopole und Kartellabsprachen so große Bedeutung zugemessen wie in der Bundesrepublik. Darüber klagt nicht zuletzt der Bundesverband der Deutschen Industrie. Deutsche Unternehmen versuchen immer offensichtlicher, vor dem Zugriff des Bundeskartellamtes nach Brüssel zu flüchten. Denn die Fusionskontrolle durch die Kommission steht im Ruf, weniger streng zu sein als die deutsche Aufsicht.

Bis zum Ende des letzten Jahres hatte die Kommission nur in zwei von 275 bei ihr anhängigen Fusionsfällen die Genehmigung versagt, darunter im November 1994 der gemeinsamen Pay-TV-Servicegesellschaft von Bertelsmann, Telekom und Filmhändler Leo Kirch.

Seit 1990, als die EU-Fusionskontrolle eingeführt wurde, sieht die Arbeitsteilung vor, daß die Kommission grundsätzlich nur zuständig ist, wenn der Gesamtumsatz der beteiligten Unternehmen über einer „Aufgreifschwelle“ liegt, die derzeit fünf Milliarden Ecu (rund 10 Milliarden Mark) beträgt. Für kleinere Fusionen oder den Fall, daß die beteiligten Unternehmen hauptsächlich in der Bundesrepublik ihren Umsatz machen, ist immer noch das Bundeskartellamt zuständig.

Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) fordert schon seit Jahren eine Absenkung der EU-Aufgreifschwelle auf zwei Milliarden Mark. Die Kommission wäre dann weitaus häufiger zuständig als heute. Bundeskartellamt und das Bonner Wirtschaftsministerium sind zwar nicht prinzipiell gegen die diese Idee, die auch von der Kommission unterstützt wird. Sie knüpfen jedoch ihre Zustimmung an die Bedingung, daß zuvor ein unabhängiges Europäisches Kartellamt nach deutschem Vorbild eingerichtet werden müsse. Ihnen ist die „Politisierung“ der Fusionskontrolle durch die Kommission ein Dorn im Auge. Zwar sind auch die 20 EU-KommissarInnen weisungsunabhängig, doch müssen sie im Alltagsgeschäft mit den Regierungen der Mitgliedstaaten zusammenarbeiten und sind daher auf deren Wohlwollen angewiesen.

Wettbewerbskommissar Van Miert wird nicht müde, darauf hinzuweisen, daß die Forderung nach einer unabhängigen FU-Kartellbehörde bisher nur von der Bundesrepublik erhoben werde. Die Diskussionen sind jedoch nicht mehr aufzuhalten. Das deutsche Kartellrecht ist auch in Europa auf dem Vormarsch. In Bonn sieht man gute Chancen, daß bei der Maastricht-II-Konferenz 1996 zumindest ein Grundsatzbeschluß in diese Richtung gefällt wird.

Bis auf weiteres versuchen fusionswillige Firmen aber noch individuell die „Flucht nach Brüssel“. Findige AnwältInnen gestalten Fusionsverträge so, daß die hohen Aufgreifschwellen auch bei mittelgroßen Fusionen übersprungen werden. Offensichtlichster Fall war die versuchte Übernahme des deutschen Gewürzherstellers Ostmann durch die beiden US-Konzerne McCormick und CPC. In diesen Deal wurde noch die niederländische Rabo-Bank eingeflochten – nur zur Erhöhung der Umsatzzahlen. Als wegen eines Verfahrensfehlers in Brüssel der Fall schließlich doch auf den Berliner Schreibtischen landete, gaben die Unternehmen entnervt auf. Sie hätten aus Berlin ohnehin nur eine Untersagung erhalten.

Schon immer zuständig war die EG-Kommission für die Verhinderung von Kartellabsprachen, die den zwischenstaatlichen Handel stören. Aber auch hier sind die deutschen WettbewerbshüterInnen unzufrieden mit der Brüsseler Behörde. So hat das Kartellamt mit Befremden festgestellt, daß die Kommission in den letzten Jahren keinen einzigen Antrag auf Freistellung vom Kartellverbot ablehnte. Einige Male hätte das Bundeskartellamt, so geht aus einer internen Aufstellung hervor, durchaus anders entschieden. Etwa als VW und Ford sich zu einem Gemeinschaftsunternehmen zusammentaten, um in Portugal ein Werk für Großraumlimousinen aufzubauen.

Zum Teil ist die Brüsseler Kommission einfach überlastet. Nur mit Mühe konnte sie ihren Antragsstau von 10.000 unbearbeiteten Fällen auf 1.000 Fälle absenken. Andrerseits spielen auch wettbewerbsfremde Überlegungen oft eine Rolle. Mit der Genehmigung der VW–Ford-Kooperation wollte die Kommission eine Region in Portugal fördern. Das Kartellamt will daher mit Rexrodts Unterstützung den EU-Rechtsvollzug dezentralisieren und häufiger selbst entscheiden. Auch hier sind die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten noch dagegen.

Ein anderes Projekt verfolgt der BDI. Unter Hinweis auf Standortnachteile, die angeblich durch das strenge deutsche Wettbewerbsrecht entstehen, fordert der Verband eine Anpassung des deutschen Kartellgesetzes (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, GWB) an das entsprechende EG- Recht. Dank seiner weiten Generalklauseln könne mit dem EG- Wettbewerbsrecht flexibler auf neue Entwicklungen eingegangen werden. Der starre Katalog von Kartellausnahmen im deutschen GWB sei überholt.

Richtig ist, daß neue Entwicklungen wie Umweltkartelle, etwa beim dualen Müllsystem, mangels gesetzlicher Grundlage nur „geduldet“, nicht aber genehmigt werden können. Das Problem ist auch in Berlin bekannt, man hat jedoch Bedenken gegen vage Generalklauseln.

Die Ankündigung Rexrodts, mit der vom BDI lancierten GWB- Reform jetzt zu beginnen, wurde deshalb im Kartellamt eher reserviert aufgenommen. Das Verhältnis von Amtschef Dieter Wolf zu seinem Minister ist seit einigen Wochen ohnehin recht gespannt, nachdem Rexrodt bei der wieder einmal willfährigen Kommission durchgesetzt hat, daß die Übernahme des maladen Bus- Herstellers Käsbohrer durch Daimler-Benz genehmigt wird. Das Bundeskartellamt hatte eine Ablehnung gewünscht. Von Christian Rath