Zerstören – und zurück in die Tarnung

Gewaltphantasien vom Küchentisch: Am 11. April vor 75 Jahren wurde die oberösterreichische Schriftstellerin und Arzthelferin Marlen Haushofer geboren, die in ihren Romanen gern Männer von wutgeplagten Frauen morden ließ  ■ Von Elke Brüns

Nett, diese Frau. Adrett, ein wenig bieder und kaum sonderlich aufregend schaut sie aus den meisten Fotos heraus. Zugleich wirkt sie immer irgendwie ein bißchen abwesend. Oder ist das der Blick, der sich einstellt, nachdem man ihre Bücher gelesen hat?

Als anwesend weisen sie zumindest die Daten ihrer Biographie aus. Aber wozu referieren, daß Haushofer 1920 im oberösterreichischen Frauenstein geboren wurde, 1939 ihre Matura machte, wonach ein Jahr Arbeitsdienst in Ostpreußen folgte, sie 1940 ein Germanistikstudium in Wien begann und heiratete. Daß sie ab 1947 in Steyr lebte, in der Arztpraxis ihres Mannes helfen mußte, zwei Kinder hatte, eines davon – eine kleine Besonderheit – nicht vom Ehemann. Welchen Sinn macht dies angesichts der letzten, kurz vor ihrem Tod geschriebenen Worte: „Mach Dir keine Sorgen – alles wird vergebens gewesen sein – wie bei allen Menschen vor Dir. Eine völlig normale Geschichte.“ Alles normal vergeblich?

Ach ja, geschrieben hat sie noch, aufgerieben zwischen Haushalt und Praxis, in der Provinz, sich „versumpft und ekelhaft“ fühlend, wenn sie keine Zeit zum Schreiben fand. Wenn sie schrieb, zum Beispiel einen Brief nach Wien an die Freundin und Schriftstellerkollegin Jeannie Ebner, dann schon mal mit Fettfleck: „Verzeih, ich schrieb in der Küche.“ Die Küchenwelt als Schreibort: Manchmal wird da ein Roman geschrieben und manchmal im Roman ein „anständiger Nußstrudel“ gebacken: Die Tristesse des provinziellen Hausfrauenlebens bestimmt nicht nur die Inhalte, sondern hat auch ihre sprachlichen Spuren hinterlassen.

Die Spuren der weiblichen Existenz führen aber 1963 noch woandershin: in die Wildnis. Hier wacht während eines harmlosen Wochenendausflugs die Heldin ihres bekanntesten Romans, „Die Wand“, auf: völlig allein in einem Jagdhaus, das umliegende Waldareal von einer unsichtbaren Wand umschlossen. Die Welt dahinter: tot, versteinert. Eine Frau im no- man's-land: utopisch?

Der letzte Mann erscheint, und kein Garten Eden tut sich auf: „Ich zielte und drückte ab.“ Lange vor dem Film „Die Stille um Christiane M.“, in dem drei sich fremde Frauen gemeinsam und wortlos einen Mann erschlagen, ermorden bereits in einem frühen Text Haushofers einige Frauen ohne Angabe von Gründen einen Mann. Haushofers Mentor Hans Weigel sah's nicht gern. Zwar hat er ihr hilfreich die Kommas gesetzt, aber ein ungesühnter Mord – das ging zuweit. Das Manuskript wurde vernichtet. Es muß ihm ähnlich gegangen sein wie den Richtern in „Christiane M.“: Was haben diese Frauen bloß für Motive?

Motive für Männermorde? Haushofer hat dazugelernt und liefert eines: „Die Wand“ begründet es – notdürftig genug – im Mord des Mannes an zweien ihrer Tiere. Männer sind bei Haushofer Mörder – nicht nur aus Profession, sondern aus Passion. In ihrem krudesten Text, der Erzählung vom „Menschenmann“, wird die „große Mutter“ von der Tochter angefleht, den Mann, ihren Sohn, umzubringen: Er ist der Mörder an allem, was lebt. Eine hungrige Wölfin wird den Wunsch der großen Mutter erfüllen: „Friß ihn, daß sein Leben nicht ganz ohne Sinn war.“ Es lebe das Matriarchat?

Eher nicht. Die „realistischen“ Romane, Erzählungen, Novellen und die poetisierte Kindheitsautobiographie „Himmel, der nirgendwo endet“ zeigen die Ursachen der maßlosen Wut Haushofers: Frauen sind bei Haushofer sozial inexistent. Dann kann frau auch gleich den Tod als Befreiung inszenieren. Betty im Debütroman „Eine Handvoll Leben“ inszeniert ihren Selbstmord und macht sich von Mann und Sohn davon. Das Leben findet anderswo statt. Doch der Ausbruch scheitert: Betty erkennt ihre „entsetzliche Treue“ zur Vergangenheit. Diese Erkenntnis teilt sie mit ihrer Autorin: Haushofer, ab 1953 geschieden, blieb in der gemeinsamen Wohnung und heiratete ihren Mann 1957 erneut.

Haushofers Werk folgt den Wünschen und Erfahrungen der Autorin: Imaginiert „Eine Handvoll Leben“ von 1955 den Ausbruch aus der Familie, beschreibt ihr Folgeroman, „Die Tapetentür“, von 1957 den Weg in diese als Katastrophe: Alle Frauenfiguren erleben sich als in eine unsichtbare Wand eingeschlossen. Vor der Wand spielt sich ab, was man behelfsweise das Leben nennt: Begehren, Lust, Angst, Grauen.

Wie wird jemand inexistent? Wie darüber schreiben? „Vielleicht, daß ein sehr entferntes Auge eine geheime Schrift in diesem Splitterwerk enträtseln könnte“, drückt eine Erzählerin

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den Wunsch der Autorin aus. Das Leben: heillos banal und rätselhaft. Durch diese Fremde schickt Haushofer ihre Frauenfiguren als „abgespaltene Teile“ ihrer selbst. Der Weg in die Katastrophe weiblicher (Nicht-)Existenz ist bei Haushofer an die Natur gebunden: Schwangersein, erkennt eine Frauenfigur, heißt: der Natur in die Falle gehen. Was bleibt, ist Schreiben. „Die Wand“ ist die Rache der auf die (Mutter-)Natur reduzierten Frau: Apocalypse now – nicht ich bin tot, versteinert – ihr seid es, und zwar alle!

Haushofer besaß den Humor, ihren Mord(s)roman Hans Weigel als „Katzengeschichte“ vorzustellen: „Der wird Dir nicht gefallen.“ Schon wieder Männer-Mord? Irgendwie kaum mehr der Rede wert für Haushofer, wie auch die zeitgenössische Kritik die Schüsse geflissentlich überhörte. Unerhört scheint das Aggressionspotential des Werkes auch noch nach seiner Renaissance, die mit der Neuherausgabe 1983 einsetzte. Versteht man „Die „Wand“ mit Christa Reinigs Begriff als „Entmannung“ – als Tötung des Männlichen in der Frau –, kastriert man ihre Schrift im Wortsinne erneut. Undenkbar, was eigentlich nur logisch ist: daß die Bilderspur des Tötens und Vernichtens, die das Werk durchzieht, eher zur „Ermannung“ führt. Die Frau greift zum phallischen Gewehr und schießt zurück.

In längst vergangenen Zeiten, also in den späten Siebzigern, wurde die Frage einer weiblichen Ästhetik aufgeworfen. So recht konnte frau sich nicht einigen, ob es sie gibt und wie sie aussehen sollte, könnte, dürfte. Sylvia Bovenschen schrieb damals Grundsätzliches: Eine weibliche Ästhetik stelle sich nicht schon mit „weiblichen“ Inhalten her, sondern erst wenn die (Text-)Form diesen entspreche. In diesem Sinne hat sich in Haushofers Werk eine weibliche Ästhetik als Antiästhetik realisiert. Denn, wie Irmela von der Lühe dieses Schreiben zutreffend charakterisiert: „Das eigentliche Gefängnis ist die Sprache“.

Haushofers Frauen sind Fremde in einer männlichen Welt, an ihrem jeweiligen Ort, so wie eine sagt: „Lieber hier nicht zu Hause als anderswo nicht zu Hause.“ In dieser Desolatheit, Abwesenheit, Inexistenz leben die „Frauen, die Bescheid wissen“, so Haushofer, in „stiller Résistance“. Von dieser Haltung ist ihr Werk allerdings weit entfernt. In ihm wird aber auch nichts dekonstruiert, re- und dekontextualisiert oder das Geschlecht parodiert und was der subtilen postmodernen Textstrategien noch sein mögen. Statt dessen wird der phallokratischen Kultur am Ende mit der ihr eigenen Gewalt begegnet. Mit Marguerite Duras gesprochen: „Zerstören, sagt sie.“ In ihrer Küche sitzend, hat Haushofer sich als Guerillera in die Literatur eingeschrieben: hin und wieder ein kleiner, kurzer Anschlag auf die Sprachmauer und marsch zurück in die Tarnung. Nett, diese Frau.

Die Romane von Marlen Haushofer sind im Claassen Verlag, Hildesheim, erschienen.