Stoiber spornt an

■ Der Angriff auf die Öffentlich-Rechtlichen hat die Grünen aufgeweckt, jetzt wollen sie endlich medienpolitisch fit werden

„Wir sind die Kraft, die medienpolitisch wirklich eingreifen kann.“ Starke Worte von Krista Sager, Sprecherin einer Partei, die das Politikfeld Medien bislang weitgehend der Konkurrenz überlassen hat. Nun wollen die Grünen gleichziehen und haben die Einrichtung einer 15köpfigen, aus Fach- und Parteileuten gemischten Medienkommission angekündigt, eine Art Braintrust auf Bundesebene. In den Ländern sollen neue Arbeitsgemeinschaften diese Funktion übernehmen.

Auch im grünennahen Umfeld ist Medienpolitik derzeit in. So versprachen sich jüngst in Hannover grüne Mitglieder von Rundfunkräten, zu Gast beim NDR, verstärkte Kooperation. Und in Köln ließen die Heinrich-Böll-Stiftung und die Ökologie-Stiftung NRW über Medien, Markt und Moral diskutieren, im Beisein des designierten WDR-Intendanten Fritz Pleitgen.

Rezzo Schlauch als medienpolitischer Sprecher der bündnisgrünen Bundestagsfraktion hat so seine Vermutungen, warum die Partei auf einmal medienpolitische Regsamkeit an den Tag legt: „Die heimlichen Ziehväter der Aktivitäten sind Stoiber und Biedenkopf mit ihren Angriffen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.“ Der nämlich ist den Grünen, wie auch Schlauch meint, „unser Fokus.“

„Öffentlich-Rechtliche waren unsere Kanzel“

Mit einem heftigen Bekenntnis zu den Öffentlich-Rechtlichen hatten sich die Grünen 1985 auf einem Parteitag in Offenburg für Jahre aus der Debatte um die Entwicklung der neuen Medienvielfalt verabschiedet. Als einzige Partei lehnten sie damals grundsätzlich die Zulassung privater Veranstalter ab. Begründung: Den Unterhaltungs- und Informationsbedarf könnten öffentlich-rechtliche Anstalten und freie Radios auch allein „voll befriedigen“. Heute meint selbstkritisch Willfried Maier, medienpolitisch engagierter Grünen- Chef in der Hamburger Bürgerschaft: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk war für uns lange wie eine Kanzel.“ Die grüne Gemeinde verzichtete folglich auf bundesweite medienpolitische Aktivitäten und damit auch auf politische Handlungsfähigkeit in diesem Bereich. So gab es 1993 nicht einmal eine politische Stellungnahme des Bundesvorstands zum Rundfunkgebührenurteil des Bundesverfassungsgerichts, obwohl letztlich eine grüne Initiative gegen den sogenannten Kabelgroschen das Urteil provoziert hatte.

Grünes Spektakel mit Horrorvideo

Statt dessen beklagten grüne BedenkenträgerInnen bei allen Gelegenheiten eine „Verrohung und Verflachung des Fernsehprogramms bei den kommerziellen Anbietern“ – so etwa der Landesverband Berlin noch 1995. Solche Töne machten die Grünen allenfalls für bayerische Landfrauen bündnisfähig. Für einen sauberen Bildschirm kämpfte zeitweilig auch Rezzo Schlauch. Noch 1993 bekundete er in einem riesigen Medienspektakel Ekel und Abscheu vor dem TV-Programm, nachdem er und andere Mitglieder seiner Stuttgarter Landtagsfraktion 24 Stunden vor der Glotze gehockt hatten – zwischendurch hatte man auch mal ein Horrorvideo eingeschoben. Tatsächlich lassen sich mit der grünen Erkenntnis, daß Dauerfernsehen „bled macht“ (so kommentierte die Stuttgarter Zeitung die Aktion), kaum komplexe Zusammenhänge hinter der Glotze durchschauen. Was Wunder, wenn MdB Christa Nickels im letzten Jahr der Kragen platzte, als sie im grünen Bundestagswahlprogrammentwurf statt Aussagen zur erwünschten TV- Grundversorgung oder Vorschlägen zur Medienkonzentrationskontrolle nur „nebulöse Absichtserklärungen“ vorfand. Nickels: „So kann es mit der grünen Medienpolitik nicht weitergehen.“

Ohne bundesweites Aufsehen war es zwischenzeitlich auf Länderebene weitergegangen – also näher an den regionalen Medienstandorten. Hier wurschtelten sich medienpolitische EinzelkämpferInnen mit einem Selbstverständnis durch, zu dem neben dem Bekenntnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk das Festhalten an Programmen für Minderheiten, der Einsatz für bürgernahen Rundfunk und offene Kanäle sowie die Minimierung der Parteienpräsenz in den Rundfunkräten zählen. In Sachen Konzentrationskontrolle begnügte man sich meist mit der Forderung nach Transparenz von (Kirchschen) Beteiligungsverhältnissen an den verschiedenen Sendern. Seit kurzem werden die Vorstellungen präziser. So machte etwa Margarete Bause, grüne Rundfunkrätin beim Bayerischen Rundfunk, mit dem Vorschlag auf sich aufmerksam, die Landesmedienanstalten, Kontrolleure der kommerziellen Sender, nicht mehr aus dem Gebührenaufkommen, sondern vom privaten Rundfunk finanzieren zu lassen.

Mit der Medien- wirtschaft reden

Neue Anstöße für grüne Medienpolitik könnten womöglich auch aus jenen Kommunen kommen, in denen Medienpolitik schlicht zum politischen Alltag gehört. Beispiel Köln: Hier knubbeln sich rund um den Dom sechs Sender und versorgen etwa 300 private Medienbetriebe mit Aufträgen. Hier sind Medien- und Kulturwirtschaft für die Grünen im Rat der Stadt Teil „ökologischer Wirtschaftsförderung“. Ihr medienpolitischer Sprecher Jörg Frank: „Wenn wir nicht mit der privaten Medienwirtschaft reden, stoßen wir viele unserer WählerInnen vor den Kopf.“

In Richtung Kommune führen auch die Multimedia-Aktivitäten von Energieversorgern, Rundfunkanstalten und privaten Großanbietern, die derzeit neue Pilotprojekte fürs digitale Fernsehen installieren – mit voller Unterstützung der jeweiligen Landesregierungen, aber nahezu ohne BürgerInnenbeteiligung. Auch hier könnten die Grünen eine Lücke ausfüllen und sich für die demokratische Gestaltung der Informationsgesellschaft stark machen. Peter Hanemann